Zwei Angeklagte auch aus Ettlingen und Pforzheim

Sie wollten die Bundesregierung stürzen: Ein Jahr "Reichsbürger"-Prozess in Stuttgart-Stammheim

Stand

Von Autor/in Felix Wnuck

Am 29. April 2024 begann einer der drei "Reichsbürger"-Prozesse in Stuttgart. Es geht um Hochverrat und eine terroristische Vereinigung. Zwei Angeklagte kommen aus Ettlingen und Pforzheim.

Der Beginn einer der drei sogenannten "Reichsbürger"-Prozesse im berühmt-berüchtigten Justizareal Stuttgart-Stammheim jährt sich am 29. April zum ersten Mal. In den 1970er-Jahren wurde hier mehreren RAF-Mitgliedern der Prozess gemacht. Nun sitzen an gleicher Stelle wieder Angeklagte, die laut Anklage unter anderem Teil einer terroristischen Vereinigung gewesen sein sollen. Gemeint ist die "Patriotische Union" oder "Gruppe Reuß" um ihren womöglichen Anführer Heinrich XIII. Prinz Reuß.

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Wer ist beim "Reichsbürger"-Prozess in Stuttgart angeklagt?

In Stuttgart sind neun Personen angeklagt. Sie sollen der "militärische Arm" der Gruppe gewesen sein. Ihre Aufgabe laut Anklage: Vor allem die Machtübernahme mit Waffengewalt planen und durchsetzen. Zwei davon kommen aus der Region. Wolfram S. aus Ettlingen und Marco v. H. aus Pforzheim.

Wolfram S. sagte gleich zu Beginn des Prozesses aus. Er erklärte, dass er sich schon in seiner Kindheit stark für Elektronik interessiert habe. Später studierte er Sensorsystemtechnik in Karlsruhe. In den letzten Jahren habe er sich viel mit Katastrophenschutz und Krisenvorsorge beschäftigt. Seine Vision sei ein eigenes soziales Netzwerk mit realem Treffpunkt gewesen.

Unauffällige Fassade, im Hintergrund der Umsturz

Auf seinem Facebook-Account kritisierte Wolfram S. die Corona-Gegenmaßnahmen der Bundesregierung. Daneben postete er Musikvideos von Handpans (eine Art Trommel aus Stahl). Neben Fotografieren (oft Musikveranstaltungen beispielsweise auch Konzerte von DAS FEST in Karlsruhe) war das offenbar seine große Leidenschaft. Auf einer eigens dafür erschaffenen Webseite findet sich anscheinend von ihm selbst komponierte und aufgenommene Handpan-Musik mit Titeln wie "Little Harmony", "Celtic Touch" oder "Momente des Augenblicks".

Ein Facebook-Post von Wolfram S. aus Ettlingen. Er ist Angeklagter im "Reichsbürger-Prozess" in Stuttgart.
Offenbar spielt Wolfram S. mit diesem Facebook-Post auf die Corona-Impfungen an. Allerdings gebe es seiner Meinung nach bessere Methoden, um sein Immunsystem zu stärken.

Durch seine Gedanken um Krisen und Katastrophen fand er den Kontakt zu den Mitangeklagten, erzählte der 55-Jährige in der Verhandlung. Laut eigener Aussage hat er sich aber nie mit "Reichsbürger" Themen befasst.

Die Waffen machten ihn nicht misstrauisch

Es sei ihm lediglich um den Schutz der Bevölkerung gegangen, betonte Wolfram S. immer wieder in seiner stundenlangen Aussage vor dem Staatsschutzsenat in Stuttgart-Stammheim. Ihm sei von den Mitangeklagten erzählt worden, dass es einen Tag X geben werde. An diesem Tag solle das gesamte System in Deutschland zusammenbrechen. Wolfram S. hatte laut eigener Aussage die Aufgabe, Laptops zu besorgen zum Aufbau der Heimatschutz-Kompanien - ein deutschlandweites System von insgesamt 286 militärisch organisierten Verbänden.

Ein Facebook-Post von Wolfram S. Profil, gepostet im zweiten Sommer der Corona-Pandemie.
Ein Facebook-Post von Wolfram S. Profil, gepostet im zweiten Sommer der Corona-Pandemie.

Immer wieder hielt ihm das Gericht bei seiner Vernehmung vor, dass es bei den Treffen der Gruppe Reuß oft auch um Waffen gegangen sei. Wolfram S. hatte das nach seinen Erzählungen aber genauso wenig misstrauisch gemacht wie der Wehrpass einer geplanten neuen deutschen Armee. Die Anklage wirft ihm vor, eine IT-Struktur für die terroristische Vereinigung rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß aufgebaut zu haben. Die Geräte habe er zuvor mit Verschlüsselungstechnik und sicheren Messenger-Diensten ausgestattet, um sie vor dem Zugriff des Staates zu schützen.

Betrüger, Schläger, Umstürzler

Beim Mitangeklagten Marco van H. wiegen die Vorwürfe auf den ersten Blick schwerer. 17 Mal sei dieser schon verurteilt, so heißt es im Gerichtssaal. Mehr als 10.000 Euro Geldstrafe und mehrere Monate Gefängnis auf Bewährung hat das nach sich gezogen. Um das alles vorzutragen, brauchte ein Richter etwa rund eine Stunde. Währenddessen redete Marco van H. immer wieder mit Anwälten und Mitangeklagten.

Vor allem wegen Betrugs wurde der Pforzheimer in der Vergangenheit verurteilt. Dabei soll er immer wieder andere zu Geldzahlungen überredet haben. Außerdem habe er Geschäfte vorgetäuscht und das Geld für sich behalten. Im Prozess hieß es weiter, dass er sich schon als Steuerberater oder Oberleutnant der Bundeswehr ausgegeben habe.

Marco van H. soll aber auch schon gewalttätig geworden sein. Dazu hieß es, dass er schon Schläge im Taxi oder in einer Kneipe verteilt haben solle, auch an Frauen oder Minderjährige. Getäuscht habe Marco van H. auch die Gruppe Reuß. Zum einen habe er den Umsturz mitgeplant, zum anderen soll er laut Anklage der Terrorgruppe vorgetäuscht haben, dass er Kontakt zu einem Geheimbund ausländischer Mächte habe.

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Sturm auf das Reichstagsgebäude und Systemwechsel

Laut der Anklage des Generalbundesanwalts wollten die Gruppe Reuß die "staatliche Ordnung in Deutschland [...] überwinden" und eine eigene Staatsform errichten - mit Prinz Reuß an der Spitze. Insgesamt vereine die Beschuldigten eine tiefe Ablehnung gegen die Bundesrepublik Deutschland und deren demokratische Grundordnung.

Um ihre Ziele zu erreichen, plante die Gruppe offenbar den gewaltsamen Umsturz "durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten", heißt es in der Anklage weiter. Dass das Vorhaben auch Menschenleben fordern werde, das sei den Angehörigen der Gruppe bewusst gewesen. Dazu soll die ehemalige Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, auch Teil der mutmaßlichen Terror-Vereinigung, anderen Mitgliedern Zugang zum Bundestagsgebäude ermöglicht haben. Diese sollen das Gebäude ausgespäht haben, um die Erstürmung besser zu planen.

Medienrummel um den Mammutprozess

Eine der größten Razzien der deutschen Nachkriegsgeschichte ging dem Prozessvoraus. Über 20 Angeklagte mitsamt Verteidigerinnen und Verteidigern sind beteiligt: zu groß für jeden Gerichtssaal. In den Medien wird oft von "Mammutprozess" gesprochen. Deshalb teilt die Justiz das Ermittlungsverfahren in drei Prozesse auf: einer in München, einer in Frankfurt und einer in Stuttgart.

Die mutmaßlichen "Reichsbürger", um die es im Stuttgarter-Prozess geht, waren laut Anklage Teil des "militärischen Arms" der Gruppierung. Dieser Teil um Prinz Reuß sollte vor allem die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt planen und durchsetzen. Dazu sei bereits mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von insgesamt 286 militärisch organisierten Verbänden, den "Heimatschutzkompanien", begonnen worden.

Zwischenstand des Prozesses

Urteile gibt es bisher nicht, das wird noch etwas dauern. Denn schon jetzt reichen die angesetzten Prozesstermine allein in Stuttgart bis Mitte Januar 2026. Das war schon von Beginn an absehbar. Denn allein die Ermittlungsakten sollen mittlerweile über 425.000 Seiten füllen. Wären die Akten auf Standard-Kopierpapier gedruckt (in der Regel eine Dicke von 0,1 mm) und alle Papierblätter aufeinandergestapelt, wäre der Turm über 40 Meter hoch - zum Vergleich: Das Brandenburger Tor ist nur 26 Meter hoch.

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