Strompreise: Würde der Norden von neuen Preiszonen profitieren?

Stand: 28.04.2025 15:15 Uhr

Bislang gilt beim Börsenstrompreis für ganz Deutschland eine einheitliche Zone. Eine Studie auf EU-Ebene, die am Montag veröffentlicht worden ist, kommt zu dem Schluss, dass eine Aufteilung in fünf Zonen wirtschaftlich am besten sei. Was würde das bedeuten?

von Anna Marohn, Markus Plettendorff und Marc-Oliver Rehrmann

Der Bürgermeister der Gemeinde Lentföhrden, Joannis Stasinopoulos, steht auf einem landwirtschaftlichen Hof. © NDR Info
Bürgermeister Stasinopoulos hofft auf günstigere Strompreise für die Norddeutschen.

Für Bürgermeister Joannis Stasinopoulos sind Windräder ein gewohnter Anblick. In seiner Gemeinde Lentföhrden im Kreis Segeberg stehen fünf Anlagen, zwei weitere sind geplant. "Wir produzieren schon jetzt an einem sonnigen Tag mit leichtem Wind das Zwölffache der Strommenge, die wir hier vor Ort benötigen", sagt Stasinopoulos stolz. Und es könnte noch wesentlich mehr Strom sein. Denn häufig stehen die Windräder notgedrungen still. "Sie werden bei starkem Wind immer wieder abgestellt, damit die Spannung im Netz nicht zu hoch ist", erklärt der Bürgermeister. Und das sei natürlich nicht gut. Schließlich sei der Anblick der Windmühlen in der Natur nicht gerade schön. "Und dann stehen sie einfach da und produzieren nicht einmal Strom."

Und dann springen teure Gaskraftwerke im Süden ein

Vier Varianten, wie die deutsche Strompreiszone in Zukunft aufgeteilt werden könnte. © ACER: List of alternative bidding zone configurations to be considered for the bidding zone review (ANNEX I) Foto: Screenshot via Science Media Center
So könnte die deutsche Strompreiszone in Zukunft aufgeteilt werden: Vier mögliche Varianten, die in einer Analyse der europäischen Strommarkt-Koordinatoren ACER skizziert werden.

Häufig ist der Wind in Schleswig-Holstein und im ganzen Norden so stark, dass die Leitungsnetze das große Stromangebot nicht transportieren können. Und dann werden viele Windanlagen im Norden angehalten - nicht nur in Lentföhrden. Der Haken dabei ist: Wenn im Süden Deutschlands der Strombedarf zur gleichen Zeit groß ist, müssen dort teure Gaskraftwerke hochgefahren werden. Dies lässt für den Moment den Börsenstrompreis für Großkunden in ganz Deutschland steigen - auch im Norden, wo eigentlich viel günstiger Strom vorhanden ist. Zudem werden die Windanlagen-Betreiber für die Zwangspause entschädigt. Die Ausgleichszahlungen für die Strom-Produzenten summieren sich: Für das Jahr 2024 kamen so laut Bundesnetzagentur 2,8 Milliarden Euro zusammen. Diese Kosten werden auf die Verbraucher umgelegt.

Schweden ist schon in Zonen aufgeteilt

Wie könnte der Strommarkt in Deutschland wirkungsvoller geregelt werden? Eine Lösung, die seit Längerem diskutiert wird, sind kleinere Strompreiszonen, wie es sie beispielsweise in Schweden schon gibt. Die EU-Kommission setzte sie dort im Jahr 2011 durch. In Schweden unterscheidet sich nun der durchschnittliche Börsenstrompreis - übers Jahr gesehen - in den einzelnen Zonen teils deutlich.

Eine Studie der europäischen Übertragungsnetzbetreiber kommt nun zu dem Schluss, dass eine Aufteilung in fünf Zonen wirtschaftlichen am besten sei. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber sehen die Studie kritisch: Das Ergebnis sei "derzeit nicht geeignet, um eine Aufteilung der bestehenden Preiszone zu begründen". Die geplante neue Bundesregierung will die einheitliche Preiszone für ganz Deutschland beibehalten. Das ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgeschrieben.

Strommarkt-Experte hält kleinere Zonen für sinnvoll

"Heute tut der Strommarkt so, als gäbe es unendlich Möglichkeiten, Strom von allen Ecken Deutschlands in alle anderen Ecken zu transportieren", sagt Strommarkt-Experte Lion Hirth von der Hertie School in Berlin. "Das entspricht aber nicht der physikalischen Wirklichkeit." Zu häufig seien die Netze überfordert. Kleinere Strompreiszonen hingegen würden dafür sorgen, dass der regionale Strompreis den wahren Gegebenheiten entspricht, also dem Angebot und der Nachfrage. "Nur dann kann man das Stromsystem effizient betreiben", meint Hirth. "Das heißt zum Beispiel: Batterien als Stromspeicher oder Kraftwerke und Anlagen für erneuerbare Energien so einzusetzen, dass sie auch wirklich Sinn machen fürs Stromnetz."

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Bürgermeister: "Ich wünsche mir eine fairere Lösung"

Ob mehrere Strompreiszonen eine gute Lösung für Norddeutschland wären, vermag der Bürgermeister von Lentföhrden nicht einzuschätzen. Aber er sagt: "Aus meiner Sicht wäre es fairer, wenn die Strompreise im Norden, wo die Wege für den Windstrom kürzer sind, niedriger wären als in anderen Gegenden in Deutschland, wo der Windstrom erst über lange Leitungen hintransportiert werden muss." Ein wenig ärgert Stasinopoulos auch, dass in Bayern vielerorts keine Windräder errichtet werden, weil Anwohner dagegen sind. Immerhin: Seine Gemeinde profitiert finanziell von den Windkraft-Anlagen - durch das Entgelt in Höhe von 0,2 Cent pro eingespeister Kilowattstunde, das für umliegende Gemeinden vorgesehen ist.

Wind im Norden, Solar im Süden

In Norddeutschland stehen viel mehr Windräder als im Süden. Im Ruhrgebiet, Baden-Württemberg und Bayern stehen kaum welche. Zwar ist deutschlandweit mehr Solar- als Windleistung installiert, insbesondere im Süden - die Unterschiede zwischen den Regionen sind jedoch kleiner. Somit entsteht an windreichen Tagen mit wenig Sonne günstiger Strom vor allem an den Küsten und muss dann zu den Industriegebieten im Inland gelangen.

Würde der Strompreis für Privathaushalte sinken?

Ob eine Neuregelung der Strompreiszonen zu geringeren Preisen für Endverbraucher führen würde, ist nicht ausgemacht. "Um das als privater Haushalt zu merken, müsste man schon sehr genau hinschauen", sagt Experte Hirth. "Ich würde mal tippen, der Strompreis in Norddeutschland würde in der geteilten Zone ungefähr um einen Cent pro Kilowattstunde sinken." Im Moment liege der Strompreis ungefähr bei 30 Cent.

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Größere Auswirkungen könnten neue Zonen für Großabnehmer haben, für die die Strombörse maßgeblich ist, wo der aktuelle Strompreis alle Viertelstunde neu festgelegt wird. Vielfach lautet die Sorge: Bei einer Aufteilung des Strommarktes in Deutschland könnte eine Folge sein, dass Industrie-Unternehmen im Süden und Westen mehr für ihren Strom zahlen müssten. Deshalb haben sich auch sechs Bundesländer aus diesen Regionen gegen eine Aufteilung ausgesprochen.

"Das ist ein Missverständnis in der Politik"

Lion Hirth meint dazu: Diese Sicht der Politik gehe an der Realität vorbei. "Im Kern handelt es sich um ein Missverständnis. Bei Interessen-Vertretern und vielen Politikern hat sich der Eindruck festgesetzt, dass es darum geht, den Süddeutschen etwas wegzunehmen, um es den Norddeutschen zu geben. Aber darum geht es überhaupt nicht. Das ist überhaupt nicht das, was eine Strompreiszone bewirkt." Vielmehr gehe es darum, in jedem Moment das Stromsystem effizienter zu betreiben. "Und so würden langfristig alle davon profitieren", meint Hirth.

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Am Ende könnte die EU-Kommission entscheiden

Auch wenn die neue Studie eine Aufteilung der Preiszonen als wirtschaftlich sinnvoll erachtet: Deutschland wird voraussichtlich einer Neuordnung der Strompreiszonen auf EU-Ebene nicht zustimmen. Damit ist das Thema aber nicht vom Tisch: Falls im Laufe des Jahres 2025 keine einstimmige Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten zustande kommt, trifft die EU-Kommission innerhalb von sechs Monaten eine endgültige Entscheidung über den künftigen Zuschnitt der Strompreiszonen. Dies wäre nach jetzigem Zeitplan spätestens im Frühjahr 2026 der Fall. Experten sind sich einig: Eine Neuregelung der Preiszonen umzusetzen, würde Jahre dauern.

Was ist eigentlich eine Strompreiszone?

Eine Strompreiszone - auch Stromgebotszone genannt - ist ein Gebiet mit einem einheitlichen Börsenstrompreis. Das heißt: Wer in Deutschland Strom an der Börse kauft, zahlt überall gleich viel - egal ob der Strom in Kiel, München oder Greifswald verbraucht werden soll. Die Börsenstrompreise sind nicht gleichzusetzen mit den Endkunden-Preisen, die Privathaushalte zahlen. Schließlich kommen zum reinen Strompreis noch vom Staat erhobene Lasten wie Netzentgelte und Stromsteuer hinzu. Zudem verdient der Stromanbieter mit. Der reine Strompreis macht nicht einmal die Hälfte der Stromkosten im Privathaushalt aus.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 28.04.2025 | 07:38 Uhr

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