Rauch steigt über Khartum auf, während die Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces weitergehen (Archivbild vom 08.06.2023)
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Kämpfe im Sudan Der vergessene Krieg

Stand: 16.10.2023 10:50 Uhr

Tausende sind gestorben, 1,2 Millionen auf der Flucht: Seit Monaten herrscht Krieg im Sudan. Nun könnte sich die Lage zuspitzen. Denn landesweit drohen Nahrung und Medikamente auszugehen.

Alles begann mit Schüssen und Bomben in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. Mitten in Wohngebieten schlug plötzlich Artilleriefeuer ein. Im Tiefflug jagten Militärjets über die Millionenmetropole. Schnell breiteten sich die Kämpfe auf das ganze Land aus. Sechs Monate später scheint der sudanesische Staat als solcher am Ende zu sein.

"Freunde von mir und viele Menschen, die ich kannte, wurden getötet. Ich will, dass wir wieder nach Hause zurückkehren können", erzählt ein zehn Jahre alter Junge in einem sudanesischen Flüchtlingslager dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera. "Hier sind die Bedingungen schlimm - ich habe Malaria bekommen. Daran wäre ich fast gestorben", sagt er.

Die Versorgung mit Wasser und Strom ist in vielen Landesteilen mittlerweile komplett zusammengebrochen. Damit wächst die Gefahr eines großflächigen Seuchenausbruchs, erklärt Hashim Bilal von der Welthungerhilfe: "In manchen Regionen außerhalb von Khartoum gab es bereits Cholera-Ausbrüche. Es könnte sein, dass es bald auch zu einem solchen Cholera-Ausbruch in der Hauptstadt kommt. Wir können das kaum aufhalten - unter Kriegsbedingungen ist es fast unmöglich, Seuchen zu kontrollieren."

Ärzte ohne Grenzen sind alarmiert

Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen schlug erneut Alarm. In Khartoum würde man derzeit Zeuge von einem der "aktuell verheerendsten urbanen Kriege". Weil es an medizinischem Gerät für die richtige Behandlung fehle, könne bei verletzten Patienten oft nur noch amputiert werden.

Die Zahl der Toten wird derzeit auf etwa 10.000 geschätzt, die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen. Viele Gegenden im Sudan sind schwer zugänglich, die Situation ist deshalb unübersichtlich. 

Menschen flüchten mit ihren Habseligkeiten aus dem Sudan, Menschen aus dem Tschad helfen ihnen mit ihren Karren. (Archivbild vom 04.08.2023)

Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt, dass etwa 1,2 Millionen Menschen vor den Kämpfen in die Nachbarländer Ägypten, Tschad und Südsudan geflüchtet sind. Den meisten Sudanesen und Sudanesinnen fehlen für eine solche Flucht allerdings die Mittel, 4,2 Millionen Menschen haben laut UNHCR deshalb versucht, sich in den ländlichen Gegenden des Sudans vor der Gewalt zu verstecken.

Krankenhäuser und Schulen zerstört

Die Hauptstadt Khartoum gleiche mittlerweile einem Schlachtfeld, berichtet Hashim Bilal von der Welthungerhilfe: "Die zivile Infrastruktur, wie Krankenhäuser und Schulen, die schon vorher in einem schlechten Zustand waren, sind fast komplett zerstört. Ùnd viele Krankenhäuser mussten schließen, weil ihnen Medikamente und Verbandsmaterialien ausgegangen sind."

Grund für den Krieg im Sudan ist ein Machtkampf zwischen dem sudanesischen Militär und den Paramilitärs der Rapid Support Forces (RSF). Sie hatten vor gut zwei Jahren die zivile Regierung geputscht, aber immer versprochen, die Macht wieder zurückzugeben. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Übergangsregierung war die Integration der RSF ins Militär. Aber die Machtübergabe scheiterte und so zogen Militär und RSF das Land in einen Krieg.

Die Vereinten Nationen warnen davor, dass der Konflikt mittlerweile eine ethnische Dimension angenommen habe. Etwa 200 ethnische Gruppen leben im Sudan teils unter schwierigen Bedingungen zusammen. Vor allem in der von Hunger und Dürren geplagten Region Darfur kam es schon in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Menschenrechtsverbrechen.

Welthungerhilfe fordert mehr Solidarität

Auch jetzt gibt es wieder Berichte von Vergewaltigungen und wahllosen Morden. Um diese Verbrechen zu untersuchen, hat die Menschenrechtskommission vor kurzem einem auch von Deutschland unterstützten Antrag zugestimmt. In einer Erklärung hieß es, man wolle so den Weg zu einer friedlichen Lösung des Konflikts ebnen.

Ein schnelles Ende des Kriegs im Sudan ist aber vorerst nicht abzusehen, meinen Experten. Hashim Bilal von der Welthungerhilfe verlangt mehr Einsatz von der Weltgemeinschaft: "Wir sind Zeugen, wie der Sudan auf den Abgrund zusteuert. Es ist ein Kriegsgebiet. Deshalb brauchen wir jetzt mehr Solidarität mit den Menschen im Sudan. Und die Konfliktparteien müssen sich endlich an ihre Versprechen halten, um einen Frieden zu erreichen."

Die Vereinten Nationen forderten zuletzt, dass der Sudan nicht in Vergessenheit geraten darf. Aber vielleicht ist das - ein halbes Jahr nach Beginn des Krieges - schon zum Teil geschehen.

Tilo Spanhel, ARD Kairo, tagesschau, 15.10.2023 16:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. Oktober 2023 um 05:20 Uhr.