Nach Erdbeben in Marokko "Alle Menschen hier haben Angst"
Wer das Beben in Marokko überlebt hat, campiert meist unter freiem Himmel - aus Angst vor einsturzgefährdeten Häusern und den Nachbeben. Und viele Menschen sind immer noch verschüttet.
Es ist der zweite Tag nach dem Beben. Und für viele Menschen in Marokko war es die zweite Nacht unter freiem Himmel - etwa in Marrakesch, der Wüstenstadt und Touristenmetropole. Ihre Altstadt oder die Medina, wie man hier sagt, trägt mit Stolz den Weltkulturerbestatus der UNESCO.
Doch eben diese Medina und die berühmte rote Stadtmauer, die sie umgibt, wurden bei dem Erdbeben schwer beschädigt. Besonders in der Mellah, dem ehemaligen jüdischen Viertel, stürzten Häuser ganz oder teilweise ein. Andere haben massive Risse. Immer wieder erschüttern kleinere Nachbeben die Region. "Alle unsere Häuser haben Risse, sie könnten jeden Moment einstürzen, deswegen können wir nicht zurück. All diese Menschen hier haben Angst, nach Hause zu gehen", sagt Mohamed Laghrour, Bewohner der Mellah der französischen Nachrichtenagentur AFP.
Mit Decken und Kissen campierten deshalb viele eine weitere Nacht auf Freiflächen der Stadt - wie dem Djemma el Fna, dem berühmten Platz der Gaukler. Wann sie zurück in ihre Häuser können, ist völlig unklar. Fatema Satir, 62 Jahre alt, ist verzweifelt: "Schauen Sie sich an, wo all diese Menschen schlafen. Es gibt keine Hilfe für uns. Unsere Häuser haben Risse. Andere sind völlig zerstört - wie das Haus meiner Tochter: Es wurde ausradiert. Wir befinden uns in einem völlig chaotischen Zustand."
Touristen verlassen das Land
Touristen verlassen die Stadt, weil auch Hotels beschädigt wurden. "Wir dachten, wir könnten wieder in unserem Riad schlafen, es sah eigentlich ganz gut aus, aber der Besitzer sagte uns, wir müssten noch eine Nacht auf dem Platz draußen verbringen. Deswegen haben wir uns einen Rückflug über Athen nach Schottland organisiert", erzählt eine Besucherin aus Schottland der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir beten für die Menschen in Marokko - das ist alles so traurig. Wir hoffen, die Städte, Dörfer und Gemeinschaften können sich erholen."
Und eine Touristin aus Alaska sagt, dass sie und ihr Mann nach Hause fliegen, weil sie in diesen schweren Zeiten niemandem zur Last fallen wollen: "Mir tun all diese Menschen vor allem im Atlasgebirge so leid. Ich würde gern helfen, aber ich glaube, das kann ich besser von Zuhause, indem ich spende. Und nächstes Jahr werden wir zurückkommen."
Atlasgebirge ist schwer getroffen
Tatsächlich hat das Beben die Dörfer im Atlasgebirge noch weit schlimmer getroffen als Marrakesch. Zum einen lag hier das Epizentrum des Bebens, zum anderen ist die Region arm, die Häuser sind oft sehr einfach, die Bausubstanz ist schlecht.
Einige Dörfer sind quasi komplett dem Erdboden gleichgemacht worden. Auch in Asni, 50 Kilometer südlich von Marrakesch, wurden praktisch alle Häuser schwer beschädigt. Außerdem versperren Felsbrocken die Zufahrtswege, sagt der Anwohner Adeeni Mustafa. Es gebe viele versperrte Straßen und in den Dörfern suchten Menschen nach ihren Eltern, nach anderen Angehörigen. "Viele liegen noch unter den Trümmern. Alles ist auf sie herabgestürzt: ihre Häuser, Felsbrocken. Man kommt nicht durch."
Teilweise bahnen sich Rettungskräfte den Weg, aber können kein schweres Gerät mitbringen. Mit bloßen Händen und Schaufeln suchen die Menschen nach Überlebenden. Vor große Trümmerteile werden Esel gespannt, um sie zu bewegen. Es wird noch dauern, bis das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar ist.