Referendum in Tunesien Umstrittene Verfassung angenommen
Tunesiens Präsident Saied bekommt die von ihm gewünschte neue Verfassung. Zwar beteiligten sich gerade mal 30,5 Prozent aller Berechtigten an der Volksabstimmung, doch die stimmten mehrheitlich dafür. Ein weiterer Schritt in Richtung Diktatur?
Die umstrittene neue Verfassung Tunesiens ist bei dem von der Opposition boykottierten Referendum laut vorläufigen Zahlen mit einer Mehrheit von 94,6 Prozent angenommen worden. Das gab der Chef der Wahlbehörde Isie, Farouk Bouasker, bekannt.
Die Wahlbeteiligung lag demnach bei lediglich 30,5 Prozent. Laut Isie gaben 2,75 Millionen Wähler ihre Stimme ab. Die Verfassung kann trotz der geringen Beteiligung von nicht einmal einem Drittel der Wahlberechtigten in Kraft treten.
Die Einführung einer neuen Verfassung ist Teil eines von Präsident Kais Saied vorangetriebenen politischen Umbaus. Die neue Verfassung sieht vor, dass der Präsident unter anderem die Regierung sowie Richter ernennen und entlassen darf. Zudem soll er die Macht haben, das Parlament auflösen zu können.
Opposition befürchtet autoritäres System
Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen befürchten infolge der Verfassungsänderung eine Rückkehr des nordafrikanischen Landes zu einem autoritären System.
Sowohl die islamistischen Ennahda-Partei wie auch die säkulare Partei PDL hatten zu einem Boykott des Referendums vom Montag aufgerufen und nannten es einen "illegalen Prozess" ohne Absprache.
Der Jurist Sadok Belaïd, den Präsident Saïed mit der Erarbeitung der Verfassung betraut hatte, distanzierte sich von der Endfassung. Er erklärte, sie könne "den Weg zu einem diktatorischen Regime freimachen".
Das Land ist gespalten
Vor einem Jahr hatte Saied den damaligen Regierungschef abgesetzt und das Parlament gezwungen, seine Arbeit auszusetzen. Später löste er das Parlament schließlich ganz auf. Der Präsident entließ zudem wegen mutmaßlicher Korruption Dutzende Richter.
Das Land ist seitdem gespalten zwischen Anhängern und Gegnern dieser Schritte. Seit Monaten kommt es immer wieder zu Protesten für und gegen den Präsidenten.
Keine Kontrollinstanz für Präsidenten
Tunesien war nach den arabischen Aufständen ab 2010 als einziges Land der Region der Wandel zur Demokratie gelungen. Die neue Verfassung würde aber viele demokratische Errungenschaften zunichtemachen.
So sieht die neue Verfassung keine Instanz mehr vor, die den Präsidenten kontrollieren oder ihn gar des Amtes entheben könnte. Das Verfassungsreferendum wurde daher auch als Entscheidung über Saieds bisherige Führung angesehen.