Energiepolitik in den USA Unabhängig dank Fracking?
Fracking-Unternehmen in den USA schauen voller Zuversicht in die Zukunft. Denn in Zeiten der Energiekrise tragen sie zur Versorgungssicherheit bei. Doch Wissenschaftler und Aktivisten warnen vor Gefahren für Mensch und Umwelt.
Schnee soweit das Auge reicht. Weiß gepuderte Felder, weiß gepuderte Häuser. Es ist kalt in der Gegend rund um Denver im US-Bundesstaat Colorado. Drinnen, in den Wohnhäusern ist es also gerne warm. Auch in den USA sind die Energiekosten latent gestiegen. Doch von einem Versorgungsproblem ist hier bisher nicht die Rede gewesen.
Auch Lucy Molina weiß das. Sie ist Klimaaktivistin. In Denver und Umgebung engagiert sie sich für bessere Luftqualität, bessere Wasserqualität. Sie kämpft fast jeden Tag gegen die Fracking-Industrie, die den USA auch viele Vorteile verschafft. Denn energiesicher und auch -unabhängiger sind die USA im Vergleich zu vielen anderen Industriestaaten auch dank des Frackings.
"Wir müssen dagegen ankämpfen"
Doch Molina sagt, der Preis sei zu hoch. Mit Mütze, Mantel und Plakaten zieht sie durch ihre Nachbarschaft, einem kleinen Örtchen in der Nähe von Denver. Denn sie will in ihrer Kleinstadt aufklären. Viele in ihrem Viertel sind wie sie selbst Latinos.
"Ich bin Eure Nachbarin hier", ruft sie zwei Nachbarn auf Spanisch zu. Die stehen im Vorgarten ihres kleinen Häuschens und schaufeln Schnee. Molina steht auf dem Bordstein davor, hält ihr Plakat in die Höhe. Es zeigt eine Montage aus einer Lunge und einem Baum - "Unsere Luft" steht auf dem Plakat. "Ich habe Infos auf Spanisch und Englisch. Gegen die Luftverschmutzung. Kann ich das hier anbringen?" Sie bindet das Plakat an den Zaun der Nachbarn, die ihr zunicken.
In der Umgebung von Denver gebe es unzählige Fracking-Stellen, erzählt sie, unzählige Raffinerien. Nur wenige Autominuten entfernt. Das sei ein Problem, will sie ihre Nachbarn überzeugen: Fürs Klima und für die Gesundheit. "Wenn wir wollen, können wir hier eine Führungsrolle übernehmen. Ein Beispiel für den Rest der Welt sein", hofft sie. "Wir müssen dagegen ankämpfen."
"Ohne Fracking hätten USA ein Energieproblem"
Dagegen heißt auch gegen Brian Cain. Gut dreißig Minuten entfernt begeht er gerade eine neue Bohrstelle. Er ist in seinem Energieunternehmen für Nachhaltigkeit zuständig. Umgeben von einer Betonmauer zeigt er seiner Belegschaft den Stand der Arbeiten. Große rote Diesel-LKW fahren über das Gelände. Es ist matschig. Ein Kran steht in der Mitte des Geländes, der einen großen, dünnen Stahlbohrer hält. Es ist eine von vielen Fracking-Stellen in der Region.
Doch hier wollten sie es anders machen, betont Brian Cain. Hier entstehe nicht nur eine neue Bohrstelle. Hier entstünden auch wesentlich weniger CO2-Emissionen. Denn sie betrieben ihre für die Arbeit wichtigen Generatoren mit Erdgas statt mit Diesel. Zudem wollen einige Unternehmen zukünftig auch zunehmend elektrisch betriebene Trucks einsetzen.
Sie gehen davon aus, noch lange gebraucht zu werden, meint Cain. Denn ohne Fracking würden die USA in diesen Krisenzeiten ein klares Energieproblem haben. Mehr als 60 Prozent des Energieverbrauchs der USA wird laut der staatlichen Energiebehörde mit Öl und Gas gedeckt - zum Teil auch aus Fracking. Erdöl und Erdgas blieben bis 2050 die am meisten genutzten Energieträger in den USA. Einen Großteil produziert die USA im eigenen Land.
Fracking als Brückentechnologie sei daher elementar, sagt Cain - auch in Zeiten des Klimawandels: "In der Energiepolitik gibt es keine Wunderwaffe. Es gibt keine Energieform in unserer Welt, die vollkommen perfekt ist. Wir sind ein Öl- und Gasunternehmen, das über den Klimawandel spricht, das über die Energiewende spricht. Und wir wollen zuverlässige, ausreichende Energie bereitstellen, die eben so sauber wie möglich produziert wird."
Experten: Schädlich für Mensch und Umwelt
Beim Fracking wird ein Bohrer tief in die Erde gerammt, durch den eine Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien gepresst wird. Die Gesteinsschichten werden aufgebrochen, wodurch Risse entstehen, die vor allem im Gestein gebundenes Gas freisetzen.
Der Vorteil ist, dass so wichtige Energiereserven genutzt werden. Fest steht aber auch: Es entweicht klimaschädliches Methan. Laut Experten ist das schlimmer als CO2 - und nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern auch für die Menschen, die in der Nähe solcher Bohrstellen leben.
Wie auch Lucy Molina. Sie lebt gemeinsam mit ihren Kindern und Hunden in einem kleinen Haus. In der Ecke ihrer Küche stehen große, leere Wassertanks. Die bräuchten sie, weil sie das Wasser aus dem Hahn nicht benutzen könnten, sagt sie. Sie wird schnell emotional, wenn sie von Erlebnissen, von Erkrankungen in ihrem Umfeld erzählt. Zwar werden einige Stoffe, die die Industrie produziert, als krebserregend eingestuft, doch zuverlässige Langzeitstudien gibt es nicht.
Molina ist trotzdem zutiefst überzeugt, dass es das Fracking und die Raffinerien in der Umgebung sind, die ihre Familie und Nachbarschaft krank machen: "In dem Block, in dem meine Großmutter lebte, sind die meisten - unsere Großeltern, Familienmitglieder - an Krebs oder einer anderen schweren Krankheit verstorben. Und das ist ganz normal geworden. Wir warten jetzt nur noch darauf, dass uns das auch passiert."
Deutlich höhere Schadstoffwerte
Doch es geht ihr nicht nur um Luft- oder Wasserqualität, es geht auch darum, wie nah die Bohrstellen an Wohnsiedlungen und Schulgebäuden gebaut werden. Einen Erfolg, den die Aktivisten feiern, ist die relativ neue Abstandsregelung. Bisher durften Fracking-Stellen 150 Meter entfernt errichtet werden. Nun sind es circa 760 Meter.
Wie wichtig das sei, erzählt auch Detlev Helmig. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er als Wissenschaftler in den USA. Er hat sich auf dieses Thema spezialisiert und ist in Kontakt mit vielen Aktivisten. In ihrem kleinen Messwagen in der Nähe einer Siedlung, die umgeben von Bohrstellen ist, beobachten sie die Situation in der Region.
Gemeinsam mit seinem Team von Wissenschaftlern misst Helmig regelmäßig die Luftqualität: "Unsere Daten zeigen, dass es in der Umgebung eine Reihe von Schadstoffen gibt, die deutlich höhere Werte aufweisen." Auf einem Monitor zeigt er auf die Region um Denver. Rote und blaue Bereiche, die eine höhere Belastung durch Schadstoffe in der Luft dokumentieren. "Dieser Ort hier hat das dynamischste Verhalten. Die Schadstoffwerte gehen andauernd hoch und runter."
Goldene Zukunft für die Fracking-Branche
Vermutlich werden in Zukunft aber noch mehr Bohrstellen entstehen. Denn eine Branche, die sich schon seit Jahren im Abwärtstrend sah, weiß nun, dass glorreiche Zeiten bevorstehen könnten. Fracking-, Öl- und Gasunternehmen können gerade jetzt, in Zeiten der Energiekrise, zeigen, dass sie trotz aller Bedenken immens wichtig sind für die USA. Und das nicht nur für die Versorgungssicherheit, sondern auch für den Arbeitsmarkt.
Das betont auch Chris Wright, Chef des Unternehmens Liberty Energy, ein Marktführer in der Branche: "Die USA sind vom größten Erdöl- und Erdgasimporteur der Welt zum zweitgrößten Erdgasexporteur und zum mit Abstand größten Erdölproduzenten der Welt geworden. Das hat die Energiekosten seit Langem in den USA gesenkt. Und glücklicherweise waren wir im letzten Jahr in der Lage, große Mengen Erdgas auch nach Europa zu exportieren."
Aktivistin Molina meint trotzdem, dass der Preis zu hoch sei. Denn egal wie sauber und grün sich Fracking-Unternehmen präsentierten - sie würden es niemals sein.
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