Bericht zu Kolumbien-Konflikt "Botschaft einer unbequemen Wahrheit"
Jahrzehntelang herrschte in Kolumbien ein blutiger Konflikt. Hunderttausende Menschen wurden getötet, Millionen vertrieben, viele Kinder verschleppt. Nun wurden die Verbrechen in einem Bericht aufgearbeitet.
"Es gibt eine Zukunft, wenn es Wahrheit gibt" steht in großen Lettern über der Bühne im vollbesetzten Stadttheater von Bogotá. Dann betritt ein schmaler Mann die Bühne, mit einem sehr dicken, weißen Buch. Padre Francisco de Roux, Vorsitzender der Wahrheitskommission.
"Dies ist eine Botschaft der Wahrheit, einer unbequemen Wahrheit", sagte de Roux. Der Bericht sei ein Zeugnis über einen jahrzehntelangen Konflikt, in dem 80 Prozent der Opfer Zivilisten waren.
Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts
Am Dienstag hatte die Wahrheitskommission ihren Abschlussbericht über den bewaffneten Konflikt in Kolumbien vorgelegt. Seit den 1960er-Jahren kämpften darin linke Guerillagruppen gegen den Staat und rechte Paramilitärs.
Die Wahrheitskommission, die 2016 im Rahmen des Friedensprozesses mit der FARC-Guerilla gegründet wurde, hat in den vergangen Jahren Zehntausende Interviews mit Opfern, aber auch Tätern geführt.
Dokumentation schwerster Menschenrechtsverletzungen
Die Anhörung der Opfer habe die Kommission erschüttert, erzählte de Roux:
Die Tausenden Kinder, die in den Krieg verschleppt wurden, die Suche nach Verschleppten, die Massengräber, die Tausenden von missbrauchten und gedemütigten Frauen, die massakrierten Bauern.
In zehn Kapiteln werden schwerste Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Massaker, Entführungen, sexuelle Gewalt, außergerichtliche Hinrichtungen - dabei geht die Kommission von weit mehr Opfern aus, als bisher angenommen. Allein zwischen den Jahren 1985 und 2018 sollen mehr als 450.000 Menschen getötet worden sein, fast die Hälfte von paramilitärischen Einheiten.
Die Dunkelziffer, so de Roux, könne sogar noch höher sein. "Wir haben uns an den Tod und die Entführungen gewöhnt. Aber wer seine Verantwortung einräumt und anerkennt, wird von einem Teil des Problems zu einem Teil der Lösung", sagte er.
Fundament für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Der Bericht ist juristisch nicht bindend, die Kommission fällt keine Urteile - dazu wurde eine andere Institution geschaffen: die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden. Der Abschlussbericht lege vielmehr das Fundament für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, sagte de Roux und er enthalte eine Reihe von Empfehlungen, die de Roux dem künftigen Präsidenten Gustavo Petro übergab. Der amtierende Präsident Ivan Duque nahm an der Präsentation nicht teil.
Petro ist ein ehemaliger Guerillero. "Die Wahrheit darf nicht zu Rache führen, Konflikte dürfen kein Synonym für Tod sein", sagte er. Den Kreislauf der Gewalt zu überwinden, bedeute Rache zu überwinden: Man müsse auf Dialog, Einigung, Koexistenz und Versöhnung setzen.
"Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Empfehlungen wirksam werden in Kolumbiens Geschichte", erklärte der gewählte Präsident, der Anfang August vereidigt werden soll.
Forderung: Friedensvertrag konsequent umsetzen
Unter anderem empfiehlt die Kommission eine Neuausrichtung in der Drogenpolitik und eine umfassende Reform der Streitkräfte des Landes. Die Wahrheitskommission rief die Regierung dazu auf, den Friedensvertrag mit den FARC konsequent umzusetzen. Von den Splittergruppen der FARC, den ELN-Rebellen und anderen kriminellen Organisationen verlangte die Kommission, die Waffen niederzulegen.
Zwar hat sich die Sicherheitslage in Kolumbien merklich verbessert, doch gerade auf dem Land werden noch immer große Gebiete von bewaffneten Banden kontrolliert. De Roux warnte: "Es gibt immer noch einen Konflikt zwischen verschiedenen Akteuren, der wieder an Kraft gewinnen könnte, wenn keine ernsthaften Schritte zur Friedenskonsolidierung unternommen werden."