Deutsch-chinesische Konsultationen Zwischen Selbstreflexion und Misstrauen
Erstmals seit fünf Jahren gibt es wieder deutsch-chinesische Regierungskonsultationen in Präsenz. In Berlin wird sich Regierungschef Li mit einer anderen deutschen China-Politik auseinandersetzen müssen.
Die Deutschlandreise von Chinas Ministerpräsident Li Qiang ist in der Volksrepublik bisher kein großes Thema. Regierungssprecher Wang Wenbin beließ es am Donnerstag bei einer knappen Ankündigung der Reise.
Auch in den Staatsmedien werden die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen bisher kaum thematisiert, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die in Deutschland regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP deutlich kritischer mit Chinas Führung umgeht als die Große Koalition unter Angela Merkel.
Die Vorzeichen haben sich geändert
Spricht man mit der Politikwissenschaftlerin Long Jing vom staatlichen Shanghaier Institut für Internationale Studien (SIIS), hört man zumindest zwischen den Zeilen heraus, dass sich Chinas Staats- und Parteiführung nun mit einer anderen deutschen China-Politik auseinandersetzen muss.
Im Vergleich zu den Zeiten, in denen Angela Merkel an der Macht war, haben sich in den deutsch-chinesischen Beziehungen viele Faktoren geändert, darunter die globale Situation, die regionale Sicherheitslage und die eigene innenpolitische Situation in Deutschland."
Die Beziehungen sind kompliziert geworden
Analytischer betrachtet die bilateralen Beziehungen der Pekinger Politikwissenschaftler Wu Qiang. China und Deutschland befinden sich seiner Ansicht nach in einer Phase der Selbstreflexion - und in einer Phase des gegenseitigen Misstrauens.
Wu ist einer der wenigen Experten für internationale Politik, die sich in China noch öffentlich kritisch äußern. Er unterrichtete früher an der Pekinger Elite-Uni Tsinghua, wurde dann aber wegen seiner offen kritischen Haltung gegenüber der Kommunistischen Partei entlassen.
"Das Misstrauen zwischen China und Deutschland betrifft Themen wie Taiwan, Russlands Krieg in der Ukraine", sagt Wu im Gespräch mit der ARD, "außerdem die Beziehungen zu den USA und die Frage, wie es mit den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen weitergeht".
Vor welchen Problemen Unternehmen stehen
China ist zwar Deutschlands größter Handelspartner, doch das politische Umfeld wird für deutsche Firmen in China zunehmend schwierig. Die Staats- und Parteiführung erwartet von internationalen Firmen noch mehr als bisher, dass sie politische Aspekte und erst recht kritische Fragen zu Politik und Menschenrechten völlig ausblenden, wenn sie in China aktiv sind.
Die Bundesregierung dürfte bei den Regierungskonsultationen auch das chinesische Anti-Spionage-Gesetz thematisieren. Für Chinas Behörden wird es mit dem neuen Gesetz noch leichter, ausländische Firmen und ihre Mitarbeiter zu kriminalisieren, wenn sie zum Beispiel staatliche chinesische Statistiken auswerten.
Fragen nach der Nationalen Sicherheitsstrategie
Chinas Regierungschef Li Qiang wird in Berlin wohl viele Fragen zur bald erwarteten deutschen China-Strategie haben und zur Nationalen Sicherheitsstrategie, die die Bundesregierung vergangene Woche vorgestellt hat und in der China sechsmal erwähnt wird.
Chinas Führung betrachtet sie kritisch, denn sie sieht in ihr einen weiteren Beleg dafür, dass sich demokratisch regierte Staaten weltweit zunehmend von Chinas nationalistischer Politik bedroht fühlen. Politikwissenschaftler Wu schätzt es so ein:
Was der Führung in Peking die größten Kopfschmerzen bereitet, ist die so genannte Kollektive Sicherheitsordnung der USA und der westlichen Welt - einschließlich der Staaten im Westpazifik und in Südostasien. Am meisten fürchtet man sich in Peking davor, dass die demokratischen Staaten vereint zusammenstehen, um diese Sicherheitsordnung durchzusetzen.
Chinas Interessen in Asien-Pazifik-Region
Wahrgenommen wird in Peking, dass sich Deutschland zunehmend auch für die Sicherheitslage im Asien-Pazifik-Raum interessiert. Die Staats- und Parteiführung betrachtet die Region als ihren Einflussbereich.
Deshalb sieht sie es kritisch, dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius Anfang Juni angekündigt hat, auch nächstes Jahr wieder Schiffe der Deutschen Marine in die Region zu entsenden. Auch das dürfte Thema sein bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin.