Iran intensiviert Kleiderkontrollen Kopftuchzwang als Symbol der Macht
Im Iran ist die gefürchtete Sittenpolizei auf die Straßen zurückgekehrt. Kleiderkontrollen haben offenbar wieder zugenommen. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass die Frauen sich wieder unter das Kopftuch zwingen lassen.
Im Linienbus nach Arak, knapp 300 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Teheran, sitzen Frauen im schwarzen Tschador, also dem langen schwarzen Umhang, der den Körper von Kopf bis Fuß komplett bedeckt. Andere tragen Kopftuch und wieder andere sind ganz ohne unterwegs. Der Busfahrer lässt sie mitfahren, obwohl das bei einer Kontrolle auch für ihn Konsequenzen haben könnte.
In Arak steigt eine junge Frau in engen Jeans und kurzer Bluse aus. Sie trägt nichts über ihrer dunklen Lockenmähne. Ein Taxi hält, sie steigt ein. Der Fahrer riskiert, dass die Polizei beispielsweise sein Auto beschlagnahmt. Er nimmt sie trotzdem mit - weil er Geld verdienen muss? Aus Solidarität? Oder wegen beidem?
"Es gibt einfach Regeln"
In einem Dorf in der Nähe von Arak hat der Bauer Hasan ein großes Gewächshaus. Er diskutiert mit seinen Mitarbeiterinnen, wie sie am besten die Tomaten und Paprika-Pflanzen bewässern. Draußen ist es 40 Grad warm, auch im Gewächshaus ist es heiß und schwül. Aber alle Arbeiterinnen tragen Kopftuch und lange Kleidung.
"Diese Frauen tragen nicht nur Kopftuch, sie tragen normalerweise auch den schwarzen Tschador", sagt Hasan. "Mir ist das nicht wichtig. Grade wenn dann auch noch unser einziger männlicher Mitarbeiter nicht im Gewächshaus ist. Vor allem wenn es so heiß ist, dann rufe ich einfach, bevor ich reinkomme, damit sie ihr Kopftuch aufziehen können. Man darf nicht vergessen, sie leben hier auf dem Dorf. Da gibt es einfach Regeln. Und sie wollen auch nicht, dass über sie schlecht geredet wird."
Das neue Selbstbewusstsein
Hasan sitzt mit den Frauen am Tisch, sie nicken, als er erzählt. Sie seien mit dem Kopftuch groß geworden, ohne zu sein, das könnten sie sich nicht vorstellen.
Aber die Proteste und das neue Selbstbewusstsein vor allem von jungen Frauen sind auch hier angekommen. Auch im nahen Arak waren sie auf der Straße, sie kennen Festgenommene. Und die jungen Frauen im Dorf würden jetzt Moped fahren, vor Kurzem noch undenkbar. Eine erzählt von ihrer Tochter. Sie überlässt es ihr, ob sie ein Kopftuch tragen will:
Das ist ihre Entscheidung. Wenn sich die Gesellschaft wandelt, dann müssen sich auch unsere Kinder verändern, ob in der Schule, der Uni oder sonst wo. Sie beeinflussen sich da auch gegenseitig.
"Wir sind alle potentielle Straftäterinnen"
Auf jeden Fall aber solle jede selbst entscheiden, ob sie Kopftuch trägt oder nicht. Nur davon ist der Iran weit entfernt. Wir sind alle potentielle Straftäterinnen, sagt eine Teheranerin ohne Kopftuch. Sie stehen immens unter Druck. Auch in den letzten Monaten geht die Polizei gegen sie vor, verhängt teils hohe Geldstrafen, beschlagnahmt Autos von Frauen ohne Kopftuch am Steuer oder schließt Cafes, in denen Frauen bedient werden, die sich nicht an die Kleidervorschriften halten.
In den letzten Tagen erhöht das Regime den Druck. Frauen berichten von Kontrollen auf den Straßen. Ein Video zeigt einen Polizisten, der eine Frau ohne Kopftuch filmt. Sie wehrt sich. Und die gefürchteten Kleinbusse der Sittenpolizei seien wieder unterwegs. Sie erinnern an den Tod von Mahsa Amini vor zehn Monaten. Die junge Iranerin wurde in solch einem Bus abtransportiert, bevor sie starb.
Frauen wollen sich nicht einschüchtern lassen
Viele Frauen begegnen dem allerdings mit immensem Selbstbewusstsein, wollen sich nicht einschüchtern lassen. Azam ist am Sonntagabend, kurz nachdem der iranische Polizeichef die Rückkehr der Sittenpolizei verkündet, zu Fuß in Teheran unterwegs - selbstverständlich ohne Kopftuch, sagt die 63-Jährige.
"Es geht nicht nur um das Kopftuch oder was ich will", sagt sie. "Das ist ziviler Ungehorsam. Es geht hier um Protest für die Rechte von Frauen, die ignoriert werden. Zum Beispiel, dass bei einer Scheidung das Sorgerecht automatisch an den Mann geht, alles, wir dürfen so vieles nicht als Frauen."
Und es soll noch schlimmer kommen. Im Parlament liegt ein Gesetz, dass weitere harte Strafen vorsieht, unter anderem sollen den Frauen Rechte aberkannt werden.
Besonders die junge Generation rebelliert
Es sind vor allem die jungen Iranerinnen, die sich einfach nichts mehr vorschreiben lassen wollen - schon gar nicht, was sie anziehen. Dazu gehört auch ein Mädchen in Hotpants mitten auf der Straße in Teheran. Sie sei zwölf, sagt sie. Das bedeutet, dass sie seit drei Jahren Kopftuch tragen müsste. Angst hat sie keine.
Ihr Vater hält sie an der Hand. Er scheint stolz zu sein auf seine kleine selbstbewusste Tochter. Natürlich erlaubt er ihr, sich so anzuziehen. "Warum nicht? Das ist ihre Entscheidung." Und wenn die Sittenpolizei kommt? "Wir versuchen zu vermeiden, auf sie zu treffen, ihr möglichst aus dem Weg zu gehen."
Seine kleine Tochter fällt ihm ins Wort: "Wenn sie kommen, sagen sie nichts zu 12-Jährigen, eher zu welchen, die schon 15 oder 16 sind."
Frau, Leben, Freiheit
Sie würde nicht mal mehr im Unterricht ein Kopftuch tragen, und ihre Klassenkameradinnen auch nicht. Vor allem die junge Generation zeigt sich in diesen Tagen im Iran extrem unerschrocken. Sie wollen sich das erkämpfte Stück Freiheit nicht mehr nehmen lassen.
In dem kleinen Dorf bei Arak zitiert Hasan die Parole der Protestbewegung: Frau, Leben Freiheit. Kurz darauf haben seine Mitarbeiterinnen Feierabend. Bevor sie raus auf die Straße gehen, hüllen sie sich in ihren schwarzen Tschador.