Narges Mohammadi
interview

Iranische Aktivistin Mohammadi "Ich werde nicht aufhören zu kämpfen"

Stand: 08.01.2025 17:59 Uhr

Dreizehn Mal wurde die iranische Nobelpreisträgerin Narges Mohammadi schon inhaftiert. Manchmal habe sie Zweifel, ob es das alles wert sei, sagt sie. Aber immer käme sie zu dem Schluss, noch mehr als bisher kämpfen zu müssen.

tagesthemen: Sie sind aus medizinischen Gründen gerade nicht im Gefängnis. Wie geht es Ihnen?

Narges Mohammadi: Nach einer schweren OP am rechten Bein habe ich 22 weitere Tage im Gefängnis verbracht und wurde dort behandelt. Dann konnten wir zumindest eine Haftverschonung für 21 Tage durchsetzen, mit Hilfe von Anwälten. Jetzt sind die Anwälte bemüht, diese Haftverschonung - nach Ablauf dieser Zeit - zu verlängern.

tagesthemen: Dass Sie jetzt gerade vorübergehend nicht im Gefängnis sind, werten Sie das als Zeichen der Besserung - als Signal, dass sich der Umgang des Regimes mit Andersdenkenden ändert? 

Narges Mohammadis Kampf für Frauen- und Menschenrechte im Iran

Katharina Willinger, ARD Istanbul, tagesthemen, 08.01.2025 22:15 Uhr

Mohammadi: Die Situation der Erkrankten im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses ist aus meiner Sicht besorgniserregend. Wir haben Gefangene, die zum Beispiel einen Tumor im Kopf haben oder mit einer anderen schwerwiegende Erkrankung kämpfen, aber trotzdem sind sie weiterhin in Haft.

Außerdem höre ich schreckliche Berichte über andere Gefängnisse im Iran, darunter die Meldung, dass allein im Jahr 2024 insgesamt 31 Frauen hingerichtet worden sind. Überhaupt ist die Zahl der Hinrichtungen stark gestiegen. Ich habe gehört, dass allein während der letzten zwei Monate 400 Personen hingerichtet wurden.

All das zeigt uns, dass die Menschenrechtslage im Land sehr besorgniserregend ist. Ich sehe weder eine Änderung der Lage noch eine Öffnung im Land.

Narges Mohammadi (Archivbild: undatiert)
Zur Person
Narges Mohammadi ist eine iranische Menschenrechtsaktivistin, die sich insbesondere gegen die Unterdrückung von Frauen ausspricht. Seit den 1990er-Jahren wurde sie immer wieder inhaftiert. 2023 erhielt sie den Friedensnobelpreis.

"Nein, ich bereue nicht"

tagesthemen: Ihre Familie hat das Land verlassen. Sie sind geblieben und haben sich verhaften lassen, immer wieder aufs Neue. Hatten Sie jemals Zweifel, ob das die richtige Entscheidung war?

Mohammadi: Bis jetzt bin ich schon dreizehn Mal verhaftet worden, davon war ich vier Mal in Einzelhaft. Und ich muss Ihnen sagen, dass gerade die Einzelhaft die schwierigste Zeit der Inhaftierung gewesen ist.

Abgesehen davon gab es in meinem Leben traurige Ereignisse, wie den Tod meines Vaters. Ich konnte mich von ihm nicht verabschieden, sogar mein Telefon war abgestellt worden. Genauso war es vor zehn Jahren, als meine kleinen Kinder den Iran verlassen haben und ich im Gefängnis bleiben musste.

Selbstverständlich setzen einem derartige Erfahrungen und Erlebnisse schwer zu und machen einen traurig. Ich kann sogar sagen, dass dadurch vielleicht ein gewisser Zweifel aufkommt und man sich fragt, ob es das alles wert ist.

Allerdings bin ich nach all dem Leid felsenfest davon überzeugt, dass der Kampf um Menschenrechte, um Freiheit, Gleichberechtigung und Rechte der Frauen geführt werden muss. Er muss auch im Nahen Osten geführt werden, der voller Konflikte ist, um Frieden zu erreichen. Deshalb müssen entsprechende Anstrengungen unternommen werden.

Kurz gesagt, um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich bereue nicht, sondern bin im Gegenteil der Meinung, dass wir mehr als bisher weiterkämpfen müssen. Ich bin voller Zuversicht und voller Energie, weiterzumachen.

"Das Volk ist stärker und mutiger geworden"

tagesthemen: Das geplante Gesetz zur Verschleierung und Keuschheit von Frauen, das Hidschab-Gesetz mit noch strengeren Regeln, kommt vorerst doch nicht, auch weil der iranische Präsident, der große Proteste in der Bevölkerung befürchtet, sein Veto eingelegt hat. Deutet das nun wirklich auf eine Öffnung hin oder ist das nur Show, eine Illusion von Demokratie?

Mohammadi: Meiner Meinung nach zeigt dieses Gesetz und dessen Verabschiedung durch das Parlament  eindeutig, dass die Regierung weiterhin entschlossen ist, die Menschen und vor allem die Frauen zu unterdrücken. Die Führung hat nach der Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" sogar versucht, den Druck zu erhöhen, um diese zu bekämpfen.

Wir sehen das auch in anderen Bereichen der Gesellschaft, wie etwa im Umgang mit Kulturschaffenden, mit Andersdenkenden, mit politischen Gefangenen - überall können Sie die Spur dieser Unterdrückung eindeutig sehen. Deshalb denke ich, dass die Herrschenden weiterhin auf Unterdrückung setzen. Der Grund liegt darin, dass die Zeit gegen sie ist und sie keine breite Unterstützung genießen.

Dass dieses Gesetz zwar vom Parlament verabschiedet wurde, aber vom Präsidenten und der Regierung jetzt nicht umgesetzt wird, ist eindeutig ein Zeichen der Schwäche der Regierenden gegenüber den kämpfenden Frauen in der Gesellschaft.

Das heißt, das ist auch eine Errungenschaft, die der Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" geschuldet ist. Ohne diesen Kampf wäre das nicht erklärbar. Man kann also Widerstand leisten. Das zeigt, dass das Volk stärker und mutiger geworden ist. Davor hat die Führung Angst.

Dieses Interview "kann für mich Konsequenzen haben"

tagesthemen: Sie haben uns jetzt dieses Interview gegeben, welche Folgen kann das für Sie haben?

Mohammadi: Sehen Sie, aus meiner Sicht kann man nicht aufhören, weiter zu kämpfen und Widerstand zu leisten. Wir können nicht pausieren und aufhören. Weder durch Inhaftierung hinter hohen Gefängnismauern noch durch andere Methoden und Entbehrungen, die ich erleiden musste, können sie mich einschränken oder zum Schweigen bringen.

Ich bin bis jetzt neun Mal verurteilt worden, und bei fünf von diesen neun Urteilen ging es darum, dass ich im Gefängnis aktiv war und meine Meinung geäußert habe. Das zeigt, dass Gefängnismauern mich nicht daran hindern können, weiterzumachen, obwohl ich viel Leid erleiden musste. Im letzten Jahr haben sie mein Telefon abgestellt, damit meine Stellungnahmen und Proteste nicht nach draußen gelangen.

Ich konnte sogar meine Anwälte nicht sehen, weil die Behörden dachten, dass ich mich ohne sie vor Gericht nicht gut verteidigen könnte, obwohl ich - wie man weiß - selber ohnehin nicht vor Gericht erscheine, da ich solche Gerichte nicht anerkenne. In solchen Gerichten wird das Recht mit Füßen getreten.

Die Islamische Republik hat bis jetzt versucht, mich zum Schweigen zu bringen, aber das ist ihr nicht gelungen. Meine Interviews gebe ich mit voller Überzeugung. Ja, in der Tat kann das für mich Konsequenzen haben, aber ich sehe keinen anderen Weg, als mich weiter für die Demokratie einzusetzen und werde nicht aufhören zu kämpfen.

Das Gespräch führte Jessy Wellmer, tagesthemen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 08. Januar 2025 um 22:15 Uhr.