Mordfall von 1966 Freispruch nach 45 Jahren im Todestrakt
Weltweit gab es niemanden, der länger in einem Todestrakt saß: Jetzt ist ein 88-jähriger Japaner freigesprochen worden - nach 45 Jahren. Der Fall könnte eine Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe in Japan neu entfachen.
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seine Verurteilung her: 1966 soll Iwao Hakamada vier Menschen ermordet haben. Dafür wurde er 1968 zum Tode verurteilt und verbrachte Jahrzehnte hinter Gittern. Nun ist der Japaner in einer Wiederaufnahme des Verfahrens freigesprochen worden. Sein Anwalt sprach von einem "bahnbrechenden" Urteil.
Das Bezirksgericht in Shizuoka entschied, dass der 88-Jährige zu Unrecht als Mörder verurteilt worden sei. Der Richter Koshi Kunii sagte, das Gericht erkenne an, dass mehrere Beweise gefälscht worden seien und dass Hakamada nicht der Schuldige sei, berichtete der japanische Sender NHK.
Hakamada: Wurde zum Geständnis gezwungen
Hakamada war schuldig gesprochen worden, den Manager einer Firma und drei von dessen Familienmitgliedern getötet zu haben. Außerdem soll er das Haus der Familie in Brand gesteckt haben. Hakamada legte nach wochenlangen Polizeiverhören ein Geständnis ab, widerrief es aber später. Er sagte aus, er sei in den brutalen Verhören zu dem Geständnis gezwungen worden. Zudem gab er an, dass die Beweise gefälscht wurden.
1968 wurde er zum Tode verurteilt, aber nie hingerichtet, während sein Fall durch mehrere Berufungen ging. Das Todesurteil wurde 1980 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Insgesamt verbrachte Hakamada 48 Jahre hinter Gittern, mehr als 45 davon im Todestrakt. Fast fünf Jahrzehnte lebte er in Einzelhaft im Todestrakt - psychisch setzte ihm das schwer zu.
Der Weg durch die langsamen Mühlen der japanischen Justiz bis zu seinem Freispruch war für Hakamada beschwerlich. Es dauerte 27 Jahre, bis das Oberste Gericht seinen ersten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ablehnte.
Der zweite Antrag wurde 2008 von seiner Schwester Hideko Hakamada eingereicht, die heute 91 Jahre alt ist. 2014 ordnete dann ein Bezirksgericht überraschend an, dass Hakamada einen neuen Prozess bekommen müsse. Bis zur Wiederaufnahme des Prozesses wurde er in den Hausarrest entlassen. Aufgrund seines Gesundheitszustands und seines Alters stelle er ein geringes Fluchtrisiko dar, argumentierte das zuständige Gericht.
Angebliche Blutspuren nicht brauchbar
2023 entschied das Gericht schließlich zu seinen Gunsten und ebnete damit den Weg für das Verfahren, das im vergangenen Oktober begann. Bei einer letzten Anhörung vor dem Gericht in Shizuoka im Mai forderte die Staatsanwaltschaft erneut die Todesstrafe und erntete dafür Kritik von Menschenrechtlern. Angesichts der extrem hohen Hürden für Wiederaufnahmeverfahren fordern auch Rechtsexperten zunehmend eine Reform des Systems.
Ein wichtiger Streitpunkt waren fünf blutbefleckte Kleidungsstücke, die Hakamada während des Verbrechens getragen und in einem Behälter mit fermentierter Sojabohnenpaste, sogenannter Miso-Paste, versteckt haben soll. Die Kleidungsstücke wurden mehr als ein Jahr nach seiner Verhaftung gefunden.
Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Tokio aus dem Jahr 2023 bestätigte wissenschaftliche Untersuchungen, wonach sich Kleidung, die mehr als ein Jahr lang in Miso eingeweicht wurde, zu dunkel färbt, um Blutflecken zu erkennen. Hakamadas Anwälte hatten argumentiert, dass DNA-Tests gezeigt hätten, dass das Blut an der Kleidung nicht von ihm stammte.
Amnesty begrüßt Freispruch
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Freispruch als einen "entscheidenden Moment für die Gerechtigkeit" und forderte Japan auf, die Todesstrafe abzuschaffen. "Nachdem er fast ein halbes Jahrhundert lang zu Unrecht inhaftiert war und weitere zehn Jahre auf sein Wiederaufnahmeverfahren warten musste, ist dieses Urteil eine wichtige Anerkennung der tiefgreifenden Ungerechtigkeit, die er fast sein ganzes Leben lang ertragen musste", sagte Amnesty International. "Es beendet einen inspirierenden Kampf, um seinen Namen reinzuwaschen", fügte sie in einer Erklärung hinzu.
Japan ist neben den Vereinigten Staaten eine der wenigen großen demokratischen Industrienationen, in der Todesurteile noch vollstreckt werden. Hinrichtungen werden in Japan im Geheimen vollzogen, und die Gefangenen werden erst am Morgen ihrer Hinrichtung über ihr Schicksal informiert.