Parlamentswahl im Libanon "Die Lage muss sich dringend verbessern"
Kaum Arbeit, selten Strom, alles teuer - viele Libanesen haben das Vertrauen in die Politik längst verloren. Der Wunsch nach Veränderung treibt sie an die Wahlurnen, um über ein neues Parlament abzustimmen.
Vor einer Schule in der Innenstadt von Libanons Hauptstadt Beirut herrscht dichtes Gedränge. Hier wird heute gewählt. Die Menschen stehen schon seit dem frühen Morgen Schlange, um ihre Stimme abzugeben. Zahlreiche Militärfahrzeuge sind überall in der Stadt vorgefahren - die libanesische Armee ist in Alarmbereitschaft.
Es ist die erste Wahl im Libanon seit der verheerenden Explosion im Hafen Beiruts von anderthalb Jahren und den daraus entstandenen Unruhen. Das Vertrauen in die Politik haben viele Libanesen völlig verloren.
"Ich habe bereits gewählt, weil ich die gesamte Regierung austauschen will", erzählt Khodr, der gerade von der Wahlurne kommt. "Die Lage im Libanon muss sich dringend verbessern, Menschen müssen wieder Arbeit finden, wir wollen uns Lebensmittel wieder leisten können. Alles ist so teuer geworden und es gibt keinen Strom. Ich hoffe, die Sachen verbessern sich."
Schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte
Das Land am Mittelmeer leidet unter der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Die Währung hat mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren, die Preise sind explodiert. Allein Nahrungsmittel sind um mehr als 600 Prozent teurer geworden. Viele Menschen können sich kaum noch die nötigsten Dinge leisten.
Nach Angaben der Vereinten Nationen leben drei Viertel der Menschen im Libanon unter der Armutsgrenze. Dazu kommen regelmäßige Stromausfälle, öffentlichen Strom gibt es nur noch etwa zwei Stunden am Tag.
Junge Kandidaten auf den Wahllisten
Neben den etablierten Parteien stehen diesmal auch zahlreiche junge neue Kandidaten auf den Wahllisten, die die politische Elite im Land für ihr kollektives Versagen abstrafen wollen. Der Wunsch nach Veränderung treibt viele Libanesen an die Wahlurne.
Auch Mahmoud hat bereits gewählt: "Ich hoffe, die Wahl wird erfolgreich und ich hoffe, alle gehen zur Wahl und keiner bleibt zu Hause. Wir müssen jetzt nach vorne schauen und nicht da bleiben wo wir sind", sagt er. "Das ist erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich zur Wahl gegangen bin."
System erschwert echten Wechsel
Dennoch: Die Chancen auf einen größeren Wandel im Libanon gelten wegen des Wahlsystems als gering. Das politische System ist bestimmt durch ein fragiles Gleichgewicht der Konfessionen. Viele Beobachter rechnen damit, dass die mit dem Iran verbündete schiitische Hisbollah bei dieser Wahl ihre starke Stellung noch einmal festigen kann.
Viele Libanesen sind motiviert, zur Wahl zu gehen - obwohl die Chancen für echte Reformen schlecht stehen.
Tausende Stimmen gekauft?
Und: Die Korruption ist Beobachtern zufolge ein großes Problem. So besteht auch bei dieser Wahl die Befürchtung, dass Tausende Stimmen gekauft sein könnten. Wähler erhalten Geldgeschenke oder Einkaufs- und Benzingutscheine, wenn sie sich für den einen oder anderen Kandidaten entscheiden.
So werde die Gunst der Wähler gekauft, kritisiert Maguy Nendejian. Sie kandidiert zum ersten Mal für das Parlament - und will dieses System nicht mitmachen. "Es funktioniert so: Du gehst zu einem Kandidaten und sagst, ich möchte Dich wählen, aber ich bin arm", sagt sie. "Der Kandidat sagt: Kein Problem, hier sind 200 Dollar - und dafür wählst du mich. Du erzählst das deinen Freunden und die erzählen das ihren Freunden - und alle kommen und holen sich Geld. So werden Stimmen gekauft und der Kandidat zieht ins Parlament ein."
Späte Stimmen werden teuer verkauft
Für den Wahltag gebe es eine Faustregel, bestätigen Beobachter: Wer früh am Morgen wählt, dem gehe es um die Stimme. Wer abends wählt, dem gehe es um den Preis. Die Summen, die für eine Stimme gezahlt werden, würden im Laufe des Tages noch angepasst, erzählen Libanesen.
Überprüft werden kann das nicht. Die EU hat Wahlbeobachter in den Libanon entsandt. Alle hoffen vor allem eines: dass es friedlich bleibt - an diesem Wahltag im Libanon.