Lula bei Xi "Reise von großer geopolitischer Relevanz"
Brasiliens Präsident reist mit großer Delegation nach China. Er will die Beziehungen zum ohnehin wichtigsten Handelspartner vertiefen. Und sieht sich als Brückenbauer - auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Sieben Minister und fünf Gouverneure fliegen mit, dazu der mächtige Senatspräsident und mehr als 200 Unternehmer und Manager, vor allem aus dem Agrarsektor. Es ist eine beeindruckende Delegation, von der sich Brasiliens Präsident Lula da Silva nach China begleiten lässt.
Allein das zeigt die Bedeutung dieses fünftägigen Staatsbesuches. Nach Reisen ins Nachbarland Argentinien und in die USA ist es der dritte seit Lulas Amtsantritt im Januar. Lula will Brasiliens Beziehungen zu strategischen Partnern normalisieren, nachdem sein Vorgänger Jair Bolsonaro das Land diplomatisch ins Abseits gespielt hatte. China ist Brasiliens wichtigster Handelspartner.
Die große Delegation zeige aber, dass Brasilia die Zusammenarbeit mit China auf ein neues Niveau heben möchte, sagt Politologe Oliver Stuenkel von der renommierten Getulio-Vargas-Stiftung. Die Reise habe eine große geopolitische Relevanz. "In Zeiten zunehmender Spannungen zwischen dem Westen und China setzt Lula damit ein klares Zeichen."
Vision der Blockfreiheit
Denn Washington und Brüssel beobachten den wachsenden Einfluss Chinas in der Region mit Sorge. Dass sich Lula in Shanghai mit Vertretern des Technologieriesen Huawei treffen will, zeigt, dass er sich von diesen Bedenken nicht leiten lassen will. Lula sieht sich als neutraler Vermittler in einer multipolaren Welt und folgt damit der außenpolitischen Linien, die schon seine ersten Amtszeiten prägten.
"Lula signalisiert mit seiner Reise, dass er an seiner Vision der Blockfreiheit festhält - und Bande mit allen schmiedet", meint Stuenkel. Brasilien sei es immer wichtig, Alternativen zu haben, und damit eine bessere Verhandlungsposition. Ein Beispiel seien die aktuellen Gespräche mit der EU über ein Freihandelsabkommen.
Brasilien ist außerdem Teil der BRICS-Staatengruppe, der neben China auch Russland, Indien und Südafrika angehören. Gerade hat Brasiliens Ex-Präsidentin und enge Lula-Vetraute Dilma Rousseff den Vorsitz der Neuen Entwicklungsbank (NDB) der BRICS-Gruppe übernommen, mit Sitz in Peking. Die Staaten erwägen den Aufbau neuartiger Finanzstrukturen, um die Abhängigkeit vom übermächtigen US-Dollar zu verringern.
Diversifizierung der Beziehungen
In Peking und Shanghai wirbt Lula nun um mehr Investitionen in Zugstrecken, Satelliten oder neue Fabriken. Mehr als 20 Kooperationsabkommen könnten unterzeichnet werden, heißt es aus Brasilia.
So soll ein Ford-Werk im Bundesstaat Bahia von einem chinesischen Autobauer übernommen werden, der dort Elektrofahrzeuge bauen will. Auch vom Ausbau einer gemeinsamen Satellitenüberwachung in der Amazonasregion ist die Rede. Hauptsächlich dürfte es aber auch bei dieser Reise um Kooperationen mit dem Agrarsektor gehen.
Südamerikas größte Volkswirtschaft habe sich zunehmen in eine Asymmetrie manövriert, beklagen Kritiker. "Brasilien wurde zur Geisel seiner Agenda", so sieht es Ana Garcia. Anders als der exportorientierte Agrarsektor kann Brasiliens Industrie dem Wettbewerb mit China oder anderen asiatischen Ländern nicht standhalten.
Annäherung an den Agrarsektor
Seit einigen Jahren schon findet eine schleichende Deindustrialisierung statt. "Diese Entwicklung umzukehren, wie Lula das versprochen hat, ist eine große Herausforderung", sagt Garcia. Sie dürfte derzeit weder im Interesse Chinas liegen, noch im Interesse von Brasiliens Agrarsektor, der inzwischen auch politisch zu einem Schwergewicht geworden ist.
Lula, der beim Antritt seiner Chinareise genau 100 Tage im Amt ist, braucht den Agrarsektor, um die Wirtschaft zu stabilisieren und so zügig seine Wahlversprechen umzusetzen: mehr Arbeitsplätze, mehr Geld für Soziales und Gesundheit. Für Alleingänge fehlt ihm im Kongress die politische Macht.
Daher stelle die Reise auch dafür eine Chance dar, glaubt Stuenkel. "Der Agrarsektor hat mehrheitlich Präsident Bolsonaro unterstützt. Nun viele Chefs des Agrarbusiness mitnehmen zu können, dient ihm auch als Möglichkeit, sich anzunähern und zu zeigen, dass seine Politik positive Ergebnisse für diese zunehmend einflussreiche Gruppe bringt."
"Brasilien darf Einfluss nicht überschätzen"
Im Vorfeld der Reise hatte Lula zudem erneut einen "Friedensclub" vorschlagen, die Bildung einer Gruppe von Ländern, die im Krieg gegen die Ukraine vermitteln könnten - mit Beteilung Chinas. Dafür sei jetzt jedoch nicht der richtige Zeitpunkt, glaubt Marcos Azambuja, langjähriger Diplomat des südamerikanischen Landes.
Brasilien könne sich anbieten, dürfe seinen Einfluss aber nicht überschätzen. Russland zeige derzeit kein Interesse an Verhandlungen. Brasilia würde zudem von der Ukraine nicht als unparteiisch wahrgenommen, sagt Stuenkel. Einen brasilianischen Vorschlag zum Verzicht auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim lehnte die Ukraine vergangene Woche strikt ab.
"Zunächst ist es natürlich etwas Positives, dass Länder den Dialog fördern wollen. Aber es besteht die Gefahr, vielleicht auch unbeabsichtigt, dass die brasilianische Initiative am Ende ein chinesisches Narrativ legitimiert, dass der Westen angeblich kein Friedensabkommen aushandeln will", so Stuenkel.
Ob und inwieweit Lula das Thema bei seiner China-Reise anspricht, wird sich wohl erst am Freitag zeigen, beim Treffen mit Staatspräsident Xi Jinping.