Korruptionsvorwürfe in der Türkei Niemand will gegen die AKP ermitteln
Sind AKP-Mitglieder korrupt? Diese Frage wirft ein aus der Türkei geflohener Ex-Mafioso mit immer neuen Veröffentlichungen auf. Die Opposition hat Anzeige erstattet - nur findet sich bislang kein Ermittler.
Wieder sorgt Sedat Peker für Schlagzeilen. Vergangenes Wochenende wurden rund fünfzig Kurznachrichten auf einem Twitterkanal veröffentlicht, der dem türkischen Ex-Mafia-Boss zugeschrieben wird. Es geht um schmutzige Geschäfte und es geht um die Regierungspartei AKP. In den Nachrichten werden unter anderem eine Abgeordnete der Erdogan-Partei AKP, ein Berater des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und der frühere Chef der Kapitalmarkt-Aufsichtsbehörde der Korruption beschuldigt. Das englischsprachige Nachrichtenportal "Duvar" schreibt von einem regelrechten Korruptionsnetzwerk, zu dem mindestens zehn Personen gehören sollen.
Im Zentrum der Vorwürfe stehen die Abgeordnete Zehra Taskesenlioglu und ihr Bruder. Die beiden hätten zwölf Millionen Lira, das entspricht nach derzeitigem Wechselkurs etwa 660.000 Euro, von dem Unternehmen Marka Investment Holding gefordert, heißt es. Nachdem die Firmenspitze dies ablehnte, habe sich der Präsidentenberater Serkan Taranoglu eingeschaltet und seine Beratung angeboten, um die Bestechung doch noch zum Erfolg zu führen. Peker veröffentlichte auf Twitter Fotos von Texten, die die Vorwürfe belegen sollen.
Enthüllungen von Abu Dhabi aus
Der frühere berüchtigte Anführer einer kriminellen Bande war vor rund zweieinhalb Jahren aus der Türkei geflohen und lebt inzwischen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. In der Türkei ist er zur Fahndung ausgeschrieben. Von Dubai aus hat er im vergangenen Jahr zahlreiche Videos auf YouTube veröffentlicht, die millionenfach in der Türkei angesehen wurden.
Auch darin ging es um Korruption und schmutzige Geschäfte von führenden Vertretern der AKP. So beschuldigte er den türkischen Innenminister Süleyman Söylu, mit türkischen Kriminellen gemeinsame Sache zu machen. Schließlich untersagten ihm die Behörden der Emirate weitere Veröffentlichungen von YouTube-Videos. Ein von Ankara gestelltes Auslieferungsgesuch ignorierte Abu Dhabi bisher.
Was an den neuesten Vorwürfen Pekers dran ist, ist schwer zu beurteilen, auch seine Motive bleiben undurchschaubar. Aber: Mine Tozlu Sirenen, Chefin des Unternehmens Marka Investment Holding, beklagte sich am Samstagabend im türkischen Fernsehen zur besten Sendezeit. Dort erklärte sie sichtlich aufgebracht dem Moderator, die Kapitalmarkt-Aufsichtsbehörde habe ihr Unternehmen acht Monate lang von der Börse verbannt, nachdem sie die Vermittlungsbemühungen des Präsidentenberaters abgelehnt habe. Ein Journalist der Tageszeitung "Hürriyet" und ein Journalist eines Börsenportals hätten eine Negativkampagne gegen Marka Investment Holding durchgeführt, ergänzt sie.
Mit YouTube-Videos, in denen er Regierungsmitgliedern Korruption vorwirft, erreichte Peker bereits ein großes Publikum. Nun legt er auf Twitter nach.
Mutiger Staatsanwalt gesucht
Dass die Schlammschlacht noch nicht zu Ende sein könnte, darauf deutet ein Hinweis der Marka-Chefin Sirenen hin. Sie sagte am Samstagabend im Fernsehen, andere Unternehmen, von denen ebenfalls Geld gefordert wurde, würden sich in Kürze äußern.
Abgeordnete der Oppositionspartei CHP stellten am Montagvormittag Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Ankara. Ob es tatsächlich zu ernsthaften Ermittlungen kommt, ist bisher unklar. Die regierungskritische Tageszeitung "Cumhuriyet" titelte am Montag mit der Frage: "Gibt es keinen mutigen Staatsanwalt?". Am Wochenende war einer der meistgelesenen Hashtags im türkischen Twitter "ein mutiger Staatsanwalt wird gesucht" - offenbar sind die in der Türkei derzeit schwer zu finden. Mustafa Karadag, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft der Richter, moniert, Staatsanwälte hätten deshalb noch keine ernsthaften Ermittlungen in der Sache begonnen, weil sie auf ein Zeichen der politischen Führung warteten, wie sie mit dem Vorgang umgehen sollen.
Die Peker zugeschriebenen Veröffentlichungen sind für Präsident Erdogan und die AKP nicht nur ein Ärgernis. Die Umfragewerte des Präsidenten und seiner Partei fallen im Zuge der türkischen Wirtschafts- und Finanzkrise seit Monaten. Immer mehr Türkinnen und Türken haben Zweifel, dass Erdogan das Land erfolgreich regiert. Korruptionsvorwürfe, die mit seinem Umfeld in Verbindung gebracht werden, dürften das Vertrauen in sein politisches Geschick weiter beschädigen.