Nationalkongress in Vietnam Die Partei hat immer recht
Vietnams Kommunistische Partei wählt beim Nationalkongress eine neue Führung und lobt sich für ihre Erfolge; Widerspruch wird unterdrückt. Tatsächlich schadete die Corona-Krise dem Land kaum. Von L. Bodewein und H. Senzel.
Soldaten in weißen Paradeuniformen säumten den Weg zum Mausoleum von Ho Chi Minh in Hanoi - das Bekenntnis zum Revolutionär und Übervater des sozialistischen Staates ist Pflichtprogramm für die Delegierten des 13. Nationalkongresses.
Aufgebahrt und einbalsamiert liegt der Gründer der kommunistischen Partei in einer tiefgekühlten Halle. Auch auf den Straßenmärkten ist "Onkel Ho" allgegenwärtig: auf T-Shirts, Kaffeetassen oder Feuerzeugen. Und direkt daneben amerikanische Levis-Jeans und Nike-Turnschuhe.
Vietnam verdient viel Geld mit der Produktion für den einstigen Kriegsgegner USA, der kommunistische Staat ist attraktiver Standort für westliche Unternehmen. Zugleich ist der Krieg identitätsstiftend: Der Sieg sandalentragender Vietcong über den hochgerüsteten Aggressor USA wird bis heute allerorten gefeiert.
In Hanoi nicht zu übersehen: Die KP begeht ihren 13. Parteitag.
Beifall für die eigenen Erfolge statt Diskussion
Für die herrschende kommunistische Partei kein Widerspruch. Denn Widerspruch duldet die Partei nicht. "Unsere Flagge ist rot vom Blut des Sieges", heißt es in der Nationalhymne, die Delegierten singen sie zum Auftakt des Nationalkongresses. Ho Chi Minh wacht auch hier - als Bronzebüste - über seine Jünger, überwiegend betagte Herren und wenige ältere Damen.
Die holzgetäfelten Wände im Kongresszentrum sind dekoriert mit schweren Samtüberwürfen, Parteiparolen, roten Fahnen mit Hammer und Sichel. Die "Möge dieser Kongress ein Erfolg werden", ruft der 76-jährige Generalsekratär Nguyen Pu Trong den 1600 Teilnehmern zu. Eine neue Führung will die Partei in Hanoi bestimmen - Politbüro und Zentralkomitee.
Alle fünf Jahre kommt die vietnamesische KP zum Parteitag zusammen - die Ergebnisse sind wohl vorbereitet.
Kontroverse Diskussionen sind nicht zu erwarten, aber viel und langanhaltender Beifall - vor allem für die eigenen Erfolge. Die Corona-Pandemie beispielsweise hat das Land recht gut bewältigt. 1500 Fälle insgesamt, 35 Tote - allerdings musste die Regierung bei der Anordnung rigider Maßnahmen - inklusive Abriegelung ganzer Ortschaften - auch keine Proteste fürchten.
Auch Vietnams Wirtschaft hat nicht allzu sehr gelitten: Gerade durch den Handelskrieg zwischen den USA und China hat Vietnam profitiert, weil viele Unternehmen aus China abgewandert seien, um im zuverlässigen Vietnam zu produzieren, erklärt der frühere Wirtschaftsberater Tran Suo Chuong: "Wir haben den Vorteil eines absolut positiven wirtschaftlichen Klimas, so dass ich auf noch mehr hochkarätige Investoren 2021 setze."
Strenge Kontrolle aller Medien
Die Partei, die hat nach wie vor immer Recht, keine Kritik und kein Widerspruch sollen ihre Selbstinszenierung stören. Schon Monate vor dem Kongress hat die Regierung den Zugang zu Informationen gesperrt, Internet-Blogs und Einträge oder Konten in sozialen Medien löschen lassen.
Regierungskritiker, Blogger oder Journalisten wurden von der Polizei eingeschüchtert oder ins Gefängnis gesperrt. Dort sind Laut Amnesty International Schläge, Elektroschocks und Einzelhaft ohne Kontakt zur Außenwelt Alltag. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" steht Vietnam auf Platz 175 - von 180.
Laut der Journalistenorganisation setzt das Land eine Troll-Armee ein, die durch Desinformation die öffentliche Meinung lenkt und kritische Journalistinnen und Journalisten diskreditiert. Die Regierung setzt damit zugleich ein klares Signal: Wir sind bereit, gegen jeden Abweichler mit harter Hand vorzugehen.
Die Verbreitung von Angst ist eine mächtige Waffe, sagt die Bloggerin Pham Thanh Nguyen. "Wir wachen jeden Morgen auf und haben Angst", erzählt sie. "Wir akzeptieren, dass es die Norm ist, verhaftet, geschlagen und misshandelt zu werden, wenn man nicht schweigt zu der Ungerechtigkeit im Land."
Reporter ohne Grenzen nennt Vietnam nach China das zweitgrößte Gefängnis für Blogger und Netzbürger. Um zu einer langjähriger Haftstrafe verurteilt zu werden, reiche ein kritischer Post in den sozialen Medien, erzählt Pham Thanh Nguyen: "Es ist schwierig, sich mit Gleichgesinnten zu treffen oder in einem Netzwerk zu unterstützen. Wenn wir uns irgendwo äußern, wird das sofort registriert und es droht uns Gefängnis."
Vier Jahre Haft und Schläge für Protestteilnahme
Mehr als vier Jahre saß die zierliche Frau insgesamt in Haft, medizinische Hilfe sei ihr ihr trotz angeschlagener Gesundheit verweigert worden, sagt sie. Im Frühjahr 2016 hatte sie an Protesten gegen einen Chemiekonzern aus Taiwan teilgenommen, der ein Stahlwerk gebaut und giftige Abwässer ins Meer geleitet hatte.
Auf mehr als 200 Kilometer Küstenlinie kam es zu einem massenhaften Fischsterben, das die Existenzgrundlage zehntausender Fischer zerstörte. Aktivisten sprachen von der "größten Umweltkatastrophe seit dem Einsatz von Agent Orange", die Regierung ließ die Proteste brutal niederschlagen. Mittendrin die Bloggerin Pham Thanh Nguyen. "Ein Zivilpolizist warf mich zu Boden und trat mir mit dem Stiefel ins Gesicht. Wir wurden 14 Stunden lang festgehalten, und ich wurde in dieser Zeit dreimal geschlagen", erinnert sie sich. "Ich bin bis heute gesundheitlich und psychisch angeschlagen, aber ich werde trotzdem weiterkämpfen."
Verhältnis zu China zerrüttet
"Der Weg zum Ruhm ist auf den Leichen unserer Feinde gebaut", besagt die Hymne der marschierenden Truppen. Wachstum ohne Demokratie - das eint Vietnam mit China. Das Verhältnis zum kommunistischen Bruderstaat ist allerdings zerrüttet - nicht zuletzt durch den Konflikt im südchinesischen Meer. Immer wieder kommt es zu lautstarken antichinesischen Demonstrationen.
Um sich nicht gänzlich dem übermächtigen China auszuliefern, setzt Vietnam daher auf Wirtschaftsbeziehungen zum Klassenfeind. Zwei US-Präsidenten waren schon da. Barack Obama sprach das Thema Menschenrechte immerhin an, Donald Trump zeigte sich beim asiatisch-pazifischen Gipfel in Danang 2017 beeindruckt von der Erfolgsgeschichte Vietnams. Auf seinem Weg vom nagelneuen Flughafen ins Tagungszentrum waren die Elendsquartiere mit buntbemalten Tüchern verhängt worden.
Dort leben die Verlierer des vietnamesischen Wirtschaftswunders: Arme, die von Ärzten abgewiesen werden, weil sie sich die Schmiergelder nicht leisten können.