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Interview zu Verbot von türkischen Medien "Verbot den Türken einigermaßen egal"

Stand: 28.07.2016 21:23 Uhr

Viele Türken kennen die Zeitungen und TV-Sendern nicht, die nun verboten wurden. Auch deshalb gebe es kaum Proteste, sagt ARD-Korrespondent Baumgarten zu tagesschau.de. Kritische Medien stünden seit Jahren unter Druck, vielen Journalisten sei nur die Flucht ins Internet geblieben.

tagesschau.de: In der Türkei sind viele Zeitungen und TV-Sender geschlossen worden. Richtet sich das alles wirklich noch gegen Putsch-Sympathisanten und Gülen-nahe Medien? Oder zum Beispiel auch gegen liberale und linke Oppositionsmedien?

Reinhard Baumgarten: Die Maßnahmen richten sich gegen Medienunternehmen, die mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen oder in Verbindung gebracht werden. Präsident Erdogan hat sehr deutlich gesagt, dass er dem Einfluss dieser in der Türkei "Cemaat" genannten Bewegung auf die türkische Gesellschaft sowie auf staatliche Institutionen einen Riegel vorschieben will.

Nach den "Säuberungen" in Militär, Polizei, Justiz, Bildung und sogar der Religionsbehörde ist nun der Mediensektor dran. Bei den jetzt verbotenen Zeitungen, Fernsehkanälen, Radiosendern und Verlagen handelt es sich fast ausschließlich um thematisch oder regional sehr begrenzt arbeitende Medien.

Ausnahmen sind die Nachrichtenagentur Cihan und die Zeitung "Taraf". Sie waren auch auf nationaler Ebene tätig, gelten aber schon länger nicht mehr als zuverlässige Referenzgrößen für objektiven Journalismus.

Zur Person

Reinhard Baumgarten berichtet für den ARD-Hörfunk aus dem Studio Istanbul. Zu seinem Berichtsgebiet gehören neben der Türkei auch der Iran, sowie Griechenland und Zypern. 2011 eröffnete er das ARD-Hörfunkstudio in Teheran. Bis 2006 war Baumgarten Korrespondent im ARD-Hörfunkstudio Kairo.

Anti-Gülen-Stimmung im Lande

tagesschau.de: Wie steht die türkische Öffentlichkeit zu diesen Maßnahmen?

Baumgarten: Die meisten dieser gestern per Dekret verbotenen Medien sind den türkischen Zuschauern, Lesern und Radiohörern unbekannt. Insofern dürfte ihnen deren Verbot einigermaßen egal sein. Momentan ist die Stimmung ziemlich Anti-Gülen. Einer von der Nachrichtenagentur Reuters veröffentlichten Umfrage zufolge glauben mehr als 64 Prozent, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putsch steckt. Die Zivilgesellschaft steht nach dem Putschversuch immer noch unter einem beträchtlichen Schock. Die Aussicht auf eine Militärjunta war für viele Menschen in der Türkei ein Blick in den Abgrund.

Der türkische Präsident Erdogan

Erdogan regiert per Dekret - der verhängte Ausnahmezustand erlaubt dies.

Wenn die türkische Führung also erklärt, diese Medien stünden in Verbindung mit dieser "Terrororganisation", wird das zur Kenntnis genommen und führt nicht gleich zu einer Grundsatzdiskussion über Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei.

tagesschau.de: Und wie bewerten regierungsnahe Medien die Verbote?

Baumgarten: Die regierungsnahen Medien berichten über die Schließungen. Sie ziehen daraus aber nicht den Schluss, dass dadurch die Pressefreiheit weiter Richtung Abgrund gestoßen werde und es sie demnächst auch treffen könnte.

Es wird sehr wohl wahrgenommen, dass mit dieser Maßnahme der Einfluss der Gülen-Anhänger in der türkischen Gesellschaft deutlich beschnitten werden soll.

Pressefreiheit auf dem absteigenden Ast

tagesschau.de: Ist kritische Berichterstattung in der Türkei überhaupt noch möglich?

Baumgarten: Ohne den Mitarbeitern der verbotenen Medien zu nahe treten zu wollen, lässt sich schon sagen, dass Präsident Erdogan nicht die Leuchttürme des türkischen Qualitätsjournalismus zum Erlöschen gebracht hat. Damit soll die Maßnahme nicht gerechtfertigt werden. Die Pressefreiheit in der Türkei befindet sich auf dem absteigenden Ast. Das sagen auch die "Fortschrittsberichte" der EU-Kommission sowie die Organisation Reporter ohne Grenzen. In deren Pressefreiheit-Ranking ist die Türkei inzwischen auf Platz 151 von 180 abgestiegen. Und die Talfahrt hält weiter an.

Dessen ungeachtet gibt es noch Qualitätsjournalismus in der Türkei. In der Tageszeitung "Cumhuriyet" oder der "Hürriyet" beispielsweise. Mehr noch aber in Internetportalen wie T24 oder P24. Viele im Laufe der Jahre auf Druck der Regierung von Medienhäusern geschasste Journalisten publizieren heute im Internet. Dort werden gute Analysen und kritische Kommentare angeboten. Das Problem ist, dass diese Medien natürlich viel weniger Leser und Zuschauer haben, als jene Blätter und Sender, die von der türkischen Führung im Laufe der Jahre auf Linie gebracht worden sind.

Verlagshaus Cumhuriyet in Istanbul

Eine Bastion des Qualitätsjournalismus: das Verlagshaus von "Cumhuriyet"

Der Druck auf kritische Journalisten, Verlage und TV-Sender reicht Jahre zurück und ist vor allem nach den Gezi-Protesten im Sommer 2013 enorm geworden.

Das Interview führte Ralph Sartor, tagesschau.de, per E-Mail

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 28. Juli 2016 um 20:00 Uhr.