Konflikt in Belarus Darum geht es beim EU-Sondergipfel
Auf einem Sondergipfel beraten die EU-Staatschefs über die Folgen des umstrittenen Wahlsiegs von Alexander Lukaschenko in Belarus. Was die EU vorhat und welche Rolle Russland spielt - ein Überblick.
Von Jakob Mayr, ARD-Brüssel
Wahlen, die aus EU-Sicht weder frei noch fair waren. Demonstranten, die eingesperrt und verprügelt wurden - damit will die Europäische Union das Regime von Belarus nicht durchkommen lassen. Ende vergangener Woche haben die EU-Außenminister eine aus ihrer Sicht deutliche Antwort formuliert: zusätzliche Sanktionen. Jetzt beraten die Staats- und Regierungschefs bei einem virtuellen Sondergipfel.
Was hat die EU vor?
In ihrem Videogipfel wollen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs deutliche Botschaften aussenden nach Minsk und nach Moskau. In Belarus möchte die EU den Druck auf den strauchelnden Machthaber Alexander Lukaschenko erhöhen. Die klare Ansage: Keine Gewalt mehr gegen Demonstranten wie in den vergangenen Tagen, als die Polizei in Belarus Tausende inhaftiert und viele misshandelt hat.
Die EU stellt sich ausdrücklich auf die Seite der Zivilgesellschaft - also der Menschen, die im Land auf die Straßen gehen und sich nicht mit dem Ergebnis der Präsidentschaftswahlen abfinden wollen. "Eine Einmischung von außen darf es nicht geben", schreibt EU-Ratspräsident Charles Michel außerdem in seiner Einladung zum Videogipfel - eine klare Forderung in Richtung Moskau, sich zurückzuhalten.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Lukaschenko in mehreren Telefongesprächen Hilfe angeboten. Und der Kreml warnt seinerseits die EU: Nach einem Telefonat zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Putin erklärte Moskau: "Jeglicher Versuch der Einmischung von außen, der zu einer weiteren Eskalation führen könnte, ist inakzeptabel."
Welche Maßnahmen ergreift die EU?
In einem ersten Schritt boten die EU-Außenminister dem Regime von Belarus Ende vergangener Woche Zuckerbrot und Peitsche an: Sie haben einen Dialog vorgeschlagen und gleichzeitig die Strafmaßnahmen ausgeweitet gegen diejenigen, die verantwortlich für die Gewalt an Demonstranten und die Wahlfälschungen sind. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel arbeitet an einer entsprechenden Sanktionsliste. Ob auch Präsident Lukaschenko draufstehen wird, ist unklar.
Sicher ist: Die Strafmaßnahmen sollen nicht die Menschen treffen, die demonstrieren - sondern möglichst zielgenau das Umfeld des Machthabers. Denkbar sind Einreisesperren und Kontoblockaden. Gustav Gressel von der außenpolitischen Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" hält Sanktionen für ein wichtiges Instrument: "Sie zeigen dem Regime die rote Linie auf, geben ihm aber auch die Möglichkeit, Repressionen noch zurückzunehmen".
Weitreichende EU-Sanktionen hat es schon gegeben - gegen 170 Funktionäre und staatliche Unternehmen in Belarus; außerdem ein Waffenembargo. Die meisten Maßnahmen wurden aber im Februar 2016 aufgehoben, weil Lukaschenko politische Gefangene freiließ.
Was macht Russland?
Zwischen Belarus und seinem großen Nachbarn Russland bestehen historisch enge kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen. Russland ist größter Handelspartner und Gläubiger von Belarus. Die politischen Beziehungen waren mal mehr, mal weniger eng. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 vereinbarten beide Länder eine Union. Aber dann musste Präsident Lukaschenko erkennen, dass sein Land in einer Allianz mit Moskau allenfalls Juniorpartner wäre.
Nach den jüngsten Demonstrationen in Belarus hat der Kreml dem Regime in Minsk Unterstützung angeboten - was in den EU-Hauptstädten die Alarmglocken schrillen ließ. Die EU muss deshalb bei aller Entschlossenheit vorsichtig vorgehen, um Russland keinen Vorwand zu liefern, militärisch einzugreifen.
Mit der Eskalation in der Ukraine 2014 ist die derzeitige Lage nach Ansicht von Fachleuten allerdings nicht vergleichbar. Der Drang der belarussischen Gesellschaft in Richtung Westen ist viel schwächer ausgeprägt, Forderungen nach einem Anschluss an EU oder NATO gibt es nicht. Oppositionspolitiker in Belarus wollen keinen Bruch mit Moskau und sehen Russland als wichtigen Partner.
Welche Botschaft sendet die EU an Russland?
Dass Moskau ein Partner ist, an dem auch die EU nicht vorbeikommt - das wurde gestern Nachmittag sehr deutlich. Gleich drei europäische Schwergewichte haben nacheinander mit Kreml-Chef Putin telefoniert: Bundeskanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Ratspräsident Charles Michel. Merkel und Macron forderten den russischen Präsidenten auf, mäßigend auf den belarussischen Machthaber Lukaschenko einzuwirken.
Eine ähnliche Botschaft erwartet Gustav Gressel vom "European Council on Foreign Relations" auch vom heutigen Videogipfel: "Die EU sollte Russland klarmachen, dass man selbst die Oppositionsbewegung in Belarus nicht angezettelt hat, und Moskau klar warnen, dass eine militärische Intervention gravierende Konsequenzen haben würde."
Der kleine Nachbar von Belarus im Westen, Litauen, setzt darauf, dass die Belarussen ihre Angelegenheiten selbst regeln können. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda verlangte gestern, alle Seiten sollten sich aus den inneren Angelegenheiten von Belarus heraushalten. Antworten auf die drängenden Fragen, so Nauseda, die finde die belarussische Gesellschaft alleine.