Bolsonaro und die Evangelikalen Wahlkampf mit höheren Kräften
Im Wahlkampf hat Brasiliens Präsident Bolsonaro einen mächtigen Verbündeten: Pastor Malafaia, Chef einer großen evangelikalen Kirche. Er stimmt Millionen seiner Anhänger auf Bolsonaro ein - und warnt schon vor Wahlbetrug.
Sie strecken ihm die Hände entgegen, als stünde der Leibhaftige selbst da. Scheinwerferkegel umkreisen ihn, Kamerakräne fahren heran, LED-Wände werfen die Bilder zurück. Pastor Silas Malafaia, 63, Hornbrille, maßgeschneidertes Jackett und dandyhaft zurückgegeltes Haar läuft sich erst ein bisschen warm, bevor er mit erhobenem Zeigefinger seine Meinung zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Brasiliens ins Mikrophon schreit - als wolle er Brasiliens Politik einen Dämon austreiben
"Wer Drogen verteidigt, wer Abtreibung verteidigt, wer die Homo-Ehe verteidigt, der bekommt Beifall! Für den sind wir die Fundamentalisten. Wie konnte es so weit kommen?", brüllt Malafaia. "Das ist die Kultur des Marxismus, der kontrolliert das Denken, die sozialen Netzwerke, alles. Es ist schlimmer als die Diktatur. Freiheit, sage ich, Freiheit! Im Namen von Jesus: Die Korrupten, die Plünderer der Nation werden nicht an die Macht zurückkehren!"
Seine Worte hallen wider aus rund 6000 Kehlen. Silas Malafaia ist ein mächtiger Mann in Brasilien. Der prominente Pfingstprediger ist Chef der evangelikalen Megakirche "Assembleia de Deus Vitória em Cristo". Neben der Hauptkirche in Penha, einem Arbeiterviertel in Rios Nordzone, unterhält sie rund 150 weitere Tempel im Land, verfügt über eigene Verlage und TV-Sender und hat rund zwölf Millionen Anhänger. Damit diese auch wissen, wo sie bei der Wahl am 2. Oktober ihr Kreuzchen setzen sollen, hat Malafaia seinen Kandidaten an diesem Tag gleich mitgebracht.
Man hilft sich gegenseitig
"Noch nie in der Geschichte Brasiliens hatten wir einen Präsidenten, der das christliche Volk, die Kirche Jesu und Gott so ehrte wie Jair Messias Bolsonaro. Niemals!", so Malafaia.
Mito, nennen sie ihn hier, Mythos. Bolsonaro steht neben Malafaia und lächelt andächtig. Seinen "Spirituellen Berater" nennt er den Prediger - und weitete im August kurzerhand die geltende Steuerbefreiung für die Kirchen auch auf ihre Pastoren aus.
70 Millionen bekennende Evangelikale
Im einst größten katholischen Land der Welt bekennen sich heute 70 Millionen zu einer evangelikalen Kirche - jeder dritte Brasilianer. Tendenz steigend. Darunter gibt es auch traditionelle protestantische Gemeinden wie die Lutheraner oder Baptisten. Den größten Zulauf haben allerdings die bibeltreuen und ultrakonservativen Pfingstkirchen, die ihre Wurzeln oft in den USA haben.
Auch in Brasiliens Kongress stellen sie inzwischen eine einflussreiche Gruppe, die sogenannte Bibel-Fraktion. Und die Mehrheit ihrer Anhänger wählt, laut Umfragen, Bolsonaro, auch Catharina Tonell: "Unser Präsident verteidigt unsere Prinzipien. Die Freiheit, die Familie, das Leben. All das ist bei einem Regierungswechsel in Gefahr. Die linke Arbeiterpartei versucht, Kirchen zu infiltrieren und Kinder mit dem Sozialismus zu indoktrinieren. Sozialismus bedeutet Elend."
"Klare Anweisungen im Wort Gottes"
Die großen Pfingstkirchen dagegen predigen das sogenannte Wohlstandsevangelium. Wer Gott huldigt, der wird belohnt, und zwar schon im Hier und Jetzt. Finanzieller Erfolg ist ein Zeichen der Gunst Gottes. Das kommt gerade dort gut an, wo der Staat fehlt und jeder allein zusehen muss, wie er die Familie durchkriegt, in den Gewalt geprägten Vorstädten oder auf dem Land.
Priscilla Casar aus Penha ließ sich gerade erst taufen: "Man fühlt hier, dass man dazugehört. Die Kirche bietet ein Netzwerk, das uns unterstützt. Und sie gibt uns eine klare Richtung vor. Hier erhielt ich erstmals klare Anweisungen im Wort Gottes, das hat mein Leben verändert"
Nach der Messe: ein Samen der Ehre für den Pastor
Gospelchöre und Gitarrenriffs, Hasstiraden, erhabene Gebete und die Liebe Jesu - die Messe ist ein Wechselbad der Gefühle und endet mit dem Aufruf, einen Samen der Ehre für den Pastor zu pflanzen, übersetzt heißt das: Zahlstunde. Kontonummern werden eingeblendet, Dutzende Helfer strömen aus, mit Umschlägen und mit Kreditkartenlesern. Viele spenden im Glauben, dass sie nur dann etwas von Gott zurückbekommen. Die Zeitschrift "Forbes" schätzte Malafaias persönliches Vermögen vor zehn Jahren schon auf 150 Millionen US-Dollar, er selbst bestreitet das.
"Wir sind mehr als 30 Prozent der Bevölkerung. Die evangelikale Kirche ist eine Macht. Und wir werden weiterwachsen. Und natürlich werden wir auch Einfluss nehmen", sagt Malafaia. "Wir segnen diese Nation. Und wir erklären: Niemand wird bei diesen Wahlen Betrug am souveränen Willen des Volkes begehen."
Furcht vor einem zweiten "Kapitolsturm"
Wieder eine klare Botschaft. Schließlich predigt Bolsonaro seit Wochen, er könne die Wahl nur verlieren, wenn es Wahlbetrug gebe. Wie seine Anhänger bei einer möglichen Niederlage reagieren, ist die große Unbekannte. Manche fürchten ähnliches Chaos wie beim Kapitolsturm in Washington. "Nur Gott", sagte Bolsonaro einmal, entferne ihn aus der Präsidentschaft.
Ihren politischen Einfluss werden die Evangelikalen allerdings auch ohne den rechten Scharfmacher weiter ausbauen. Die "Universalkirche vom Reich Gottes", Brasiliens zweite evangelikale Megakirche soll es, laut Recherchen der Investigativ-Plattform "The Intercept", ihren Pastoren bereits freigestellt haben, für wen sie Werbung machen. Auf der Seite der Verlierer will schließlich niemand stehen.