Britische Wünsche an die EU Welche Reform darf’s denn sein?
Der britische Premier Cameron will heute endlich erklären, welche Reformen er von der EU fordert. Vor dem bis Ende 2017 geplanten Referendum über die weitere EU-Mitgliedschaft Großbritanniens steht er unter Druck - von den EU-Partnern und den Kritikern zuhause.
Von Stephanie Pieper, ARD-Hörfunkstudio London
David Cameron steckt - mal wieder - in einem Dilemma: Die 27 EU-Partner erwarten vom britischen Premierminister, dass er endlich seine konkreten Forderungen für eine EU-Reform auf den Tisch legt. Deshalb sein Brief an den Ratspräsidenten, deshalb die Rede. Doch von heute an können die vielen Euro-Skeptiker zuhause Cameron festnageln: hier die Wunschliste, dort das spätere Ergebnis.
Deshalb wird der Konservative seine Reformideen nur so konkret wie gerade nötig und so vage wie irgend möglich formulieren. Bei einem Auftritt gestern vor dem britischen Industrieverband sagte Cameron: "Ist diese Organisation flexibel genug, um sicherzustellen, dass die Euroländer wachsen können, dass aber auch Länder außerhalb des Euro, wie Großbritannien, prosperieren? Wenn die EU flexibel genug ist, dann bleiben wir drin - wenn nicht, dann müssen wir uns fragen, ob diese Organisation noch das Richtige für uns ist."
Vier zentrale Forderungen erwartet
Camerons Forderungen werden sich voraussichtlich um vier zentrale Punkte drehen: Erstens - die EU muss jene Staaten schützen, die den Euro nicht haben und auch nicht haben wollen. Zweitens - Großbritannien klinkt sich aus einer immer enger zusammenrückenden Union aus.
Drittens - es werden Kompetenzen von Brüssel zurück nach London verlagert. Und viertens - die Regierung darf Sozialleistungen für EU-Zuwanderer kürzen: "Wenn ich diese Veränderungen erreiche, dann werde ich vehement dafür werben, dass wir in einer reformierten EU bleiben. Wenn nicht, dann schließe ich nichts aus. Europa muss sich verändern, dafür argumentiere ich."
Hoffnung auf Merkels Unterstützung
Der Regierungschef weiß, dass seine Vorschläge umstritten sind, womöglich eine Änderung des EU-Vertrages erfordern, und die Zustimmung der anderen Mitgliedsstaaten kein Selbstläufer ist. Umso mehr setzt Cameron - der im Grunde in der EU bleiben will - darauf, dass ihn auf europäischer Bühne Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt.
Die formulierte beim Tag der Deutschen Industrie in der vergangenen Woche diplomatisch: "Für uns ist es aus vielerlei Gründen wichtig, Großbritannien als Mitgliedsstaat der Europäischen Union zu haben - und deshalb werden wir unseren Beitrag dazu leisten, den wir leisten können. Den Rest müssen die Briten entscheiden - und ich hoffe, sie tun es auch in einem Sinne, der uns in Europa stärker macht."
Von Euro-Fan zum Skeptiker
Nach dem Brief an Ratspräsident Donald Tusk und der angekündigten Rede heute hat Cameron als nächste wichtige Wegmarke den EU-Gipfel im Dezember im Visier. Den Riss in der politischen Klasse Großbritanniens in der EU-Frage verkörpert etwa David Owen: Der frühere Labour-Außenminister ist vom überzeugten Europäer zum Euro-Skeptiker geworden.
Er warnte im Interview mit dem ARD-Studio London, nur wenn die gesamte EU sich verändere, sei ein britischer Ausstieg noch zu verhindern: "Die Gefahr eines Brexit ist sehr real, auch wenn ich ihn eigentlich nicht will. Aber Europa stolpert gerade wie ein Schlafwandler in diese Krise hinein. Und zum ersten Mal in meinem Leben könnte ich dafür stimmen, die EU zu verlassen."
Und nicht nur Lord Owen ist skeptisch. Es ist keineswegs ausgemacht, dass sich eine Mehrheit der Briten am Ende für den Verbleib in der EU entscheidet: In mehreren Umfragen sprachen sich kürzlich mehr Befragte gegen als für die weitere EU-Mitgliedschaft aus. Noch offen ist, wann genau das Referendum stattfinden wird - aber irgendwann vor dem 31. Dezember 2017. Cameron wird mit seinem EU-Dilemma noch eine Weile leben müssen.