Corona in El Salvador "Bukele raubt unsere Demokratie"
Während einige lateinamerikanische Länder ihre Corona-Bestimmungen bereits lockern, verschärft El Salvador sie. Der ÖPNV fährt zwei Wochen nicht. Einkaufen ist nur zwei Tage pro Woche erlaubt. Wer dagegen verstößt, kommt in den "Corona-Knast".
Eigentlich wollten die Parlamentarier in San Salvador heute über eine Verlängerung der restriktiven Corona-Maßnahmen debattieren. Aber Präsident Nayib Bukele kam ihnen zuvor: Eigenmächtig rief er am Wochenende den Notstand aus - ohne demokratische Legitimierung. Die Sorge über den autokratischen Regierungsstil des Präsidenten wächst.
"Lasst uns hier raus", rufen Insassen eines "Eindämmungs- oder Quarantäne-Zentrums". Offiziell heißen so die provisorischen Unterkünfte, die eigentlich "Corona-Knäste" sind. Bis zu zwei Monate werden Menschen eingesperrt, wenn sie sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen gehalten haben und von Armee oder Polizei auf der Straße aufgegriffen wurden.
Hat ohne das Parlament eigenmächtig den Notstand ausgerufen: Präsident Nayib Bukele
In sozialen Netzwerken zeigen Videos menschenunwürdige Lebensbedingungen. Angehörige oder Journalisten haben keinen Zutritt. 4000 Menschen wurden bereits eingesperrt - auf Geheiß des seit Juni regierenden Präsidenten Bukele. Seine Anti-Corona-Maßnahmen sind die drastischsten der Region. Laut Umfragen sind angeblich mehr als 90 Prozent der El Salvadorianer damit einverstanden.
Der Journalist und Bürgerkriegsveteran Jorge Beltrán zweifelt an den Zahlen und glaubt auch nicht, dass die Ansteckungszahlen so niedrig sind, wie sie von der Regierung angegeben werden: "Ich habe den Eindruck, dass die Regierung nur improvisiert. Das führt zur Einschränkung von Grundrechten. Und noch schlimmer: Es gibt keinen effizienten Umgang mit der Pandemie. Frühere Präsidenten waren korrupt und haben unser Geld gestohlen. Nayib Bukele raubt unsere Demokratie."
Fußmarsch zur Chemotherapie
Willkürlich ließ Bukeles Regierung Landstraßen sperren und eine Stadt wegen eines einzigen Corona-Falls komplett abriegeln. Öffentliche Verkehrsmittel und Taxis müssen seit einer Woche stehen bleiben. Einwohner abgelegener Armenviertel legen Kilometer zu Fuß zurück, um Lebensmittel einzukaufen. Krebspatienten müssen stundenlang marschieren, um zur Chemotherapie zu gelangen. Alle in Angst davor, in einem "Quarantäne-Zentrum" zu landen.
Im April untersagte das Oberste Gericht Bukele diese Art von Freiheitsentzug. Aber der 38-jährige Präsident ignorierte das und twitterte: "Keine Entscheidung steht über dem Recht auf Leben und Gesundheit."
Die Reaktion zeige Bukeles Arroganz, so der Amerika-Chef von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, im El salvadorianischen Fernsehen: "Bukele droht mit Freiheitsentzug, wenn jemand in der Öffentlichkeit keine Schutzmaske trägt oder gegen andere Regeln verstößt. Er versteht immer noch nicht, dass es in El Salvador demokratische Institutionen gibt und dass er die Regeln des Rechtsstaats respektieren muss."
"Politik der Harten Hand"
Den Parlamentariern hatte er im Februar eindrucksvoll gezeigt, wie er Gewaltenteilung versteht: Als sie eine von ihm gewünschte Kreditaufnahme nicht genehmigen wollten, ließ er die Armee aufmarschieren. Großes Aufsehen erregte er international auch mit seiner "Politik der Harten Hand" gegen die Maras, die Jugendbanden. Als es im April zu vermehrter Gewalt auf den Straßen kam, machte er die Mara-Anführer in den Gefängnissen dafür verantwortlich und ließ sie medienwirksam in herabwürdigenden Positionen abbilden. Der Polizei gab er per Twitter grünes Licht zum Töten von Bandenmitgliedern.
Sicherheitskräfte auf den Straßen El Salvadors. Im Auftrag des Präsidenten achten sie auf die Einhaltung der strengen Bestimmungen.
Für die Sozialwissenschaftlerin Sonja Wolf, die in Mexiko zum Thema El Salvador arbeitet, steht Bukele auch deshalb nicht für den Bruch mit der Vergangenheit: "Ich glaube, ein Fehler, der oft begangen wird, ist, das Bukele als eine neue Generation von Politiker oder von Präsident dargestellt wird. Das ist ja auch ein Bild, das er sich selbst verschaffen wollte. Aber es scheint mir, dass es nicht so ganz richtig ist. Er ist ja auch in diesem Land aufgewachsen, in dieser Gewalt-Kultur. Also wenn man sich ansieht, wie er reagiert, dann sieht man schon, dass er viele Strategien einsetzt, die andere Regierungen auch eingesetzt haben."
Zum Beispiel die harte Hand gegen Maras, die bislang nicht zum Erfolg geführt hat. Zu Beginn seiner Amtszeit fegte Bukele noch wie ein frischer Wind durch die verstaubte politische Zwei-Parteien-Landschaft El Salvadors. Twitterpräsident wird er genannt, weil er Entscheidungen im Kurznachrichtendienst kommuniziert, sich lieber dort präsentiert, als Interviews zu geben. Aber sein autoritärer Politikstil bringt die fragile Demokratie und die Menschenrechte in Gefahr - nicht erst seit Corona, aber dadurch umso mehr.