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Einschätzung zum ARD-Interview Was Assad verschweigt und was er schönredet

Stand: 01.03.2016 20:15 Uhr

Was blendet Assad im ARD-Interview aus, was redet er schön? Nach Einschätzung von Esther Saoub verschweigt er den Anteil seiner Armee am Leiden der Menschen. Zwar gebe er sich gesprächsbereit - rücke aber von seinen grundsätzlichen Positionen

tagesschau.de: Assad beteuert in dem Interview, im Grundsatz hinter der Feuerpause zu stehen und sich daran zu beteiligen. Inwieweit entspricht das der tatsächlichen Entwicklung?

Esther Saoub: Die wichtigste Feststellung ist: Die Waffenruhe existiert - und sie hält auch weitgehend, jedenfalls melden das russische und US-amerikanische Beobachter. Ähnliches hören wir aus Damaskus und aus Aleppo, wo die Menschen morgens endlich wieder Vögel hören statt Flugzeuglärm - aber auch aus Kafranbel, einem Ort, der nahe dem Einflussbereich der islamistischen Al-Nusra-Front liegt.

"Es sind kaum Flugzeuge am Himmel, und auf dem Boden macht keine der Seiten Gewinne", schreibt mir ein Aktivist von dort. Andererseits haben oppositionelle Beobachter bereits Samstagfrüh, wenige Stunden nach Beginn der Waffenruhe, Angriffe der syrischen Armee gemeldet. Durch die Tatsache, dass der IS und al-Nusra von der Waffenruhe ausgenommen sind, sind solche Verletzungen leicht zu legitimieren. Assad selbst erklärt sie damit, dass keine "militärische Karte" existiere, an die man sich halten könne - er definiert also selbst, welche Gebiete von der Waffenruhe ausgenommen sind.

Esther Saoub, SWR
Zur Person

Esther Saoub ist SWR-Reporterin im Ressort "Ausland und Europa". Ihr Schwerpunkt ist der Nahe Osten. Von 2006 bis 2011 berichtete sie als Korrespondentin aus dem ARD-Hörfunkstudio Kairo. Seit 1991 ist sie regelmäßig in Syrien gewesen.

tagesschau.de: Assad macht seine eigene Zukunft in dem Gespräch vom Willen des syrischen Volkes abhängig. Wie glaubwürdig ist diese Aussage?

Saoub: Sie ist insofern glaubwürdig, als er wenig damit riskiert. Denn wer wird wählen gehen, bei den Parlamentswahlen und auch eines Tages bei Präsidentschaftswahlen? Die Bewohner der von ihm kontrollierten Gebiete. Ich gehe nicht davon aus, dass Regierungsbeamte Wahlurnen nach Rakka tragen werden, in die Hauptstadt des sogenannten Islamischen Staates, oder nach Idlib, wo al-Nusra regiert, vermutlich auch nicht in die Kurdengebiete, oder in die Orte, in denen die Freie Syrische Armee den Ton angibt.

Hier wird also kaum jemand seine Stimme abgeben. Hinzukommt, dass Millionen Syrer nicht mehr an dem Ort wohnen, an dem sie gemeldet sind. Wer soll sie registrieren? In den Regierungsgebieten dagegen verläuft das Leben noch in relativ geordneten Bahnen, aber mit wenigen Möglichkeiten für abweichende politische Meinungen.

Ich kenne einige Menschen in Damaskus, die aus Überzeugung für die Politik von Bashar al-Assad stimmen werden. Nicht, weil sie ihn gut finden, sondern weil sie keine politische Alternative sehen. Sie haben einfach Angst vor Zuständen wie im Irak oder vor einer Herrschaft des "Islamischen Staates".

"Je offener er sich gibt, desto weniger Kritik setzt er sich aus"

tagesschau.de: Im Interview spricht Assad als Teil des Übergangsprozesses vom Ziel einer Regierung der nationalen Einheit, die eine neue Verfassung vorbereiten soll. Welches Kalkül verbirgt sich dahinter und für wen will er diese Regierung öffnen?

Saoub: Die Tatsache, dass er sagt, "wir brauchen eine neue Verfassung", bedeutet ja erst einmal, dass die derzeitige nicht mehr passt. Mit dieser Bereitschaft zur Veränderung kommt er seinen Unterstützern entgegen. Je offener er sich gibt, desto weniger Kritik setzt er sich aus. Aber er wird nur die Oppositionellen zulassen, die ihm nicht wirklich gefährlich werden. Das ist besonders schmerzhaft für die wenigen, die ihm in den Regierungsgebieten noch widersprechen und dennoch keine Mehrheit im Parlament zusammenbringen werden, mit der sie wirklich etwas verändern könnten.

Allerdings höre ich auch Berichte aus Syrien, dass etwa die Staatsmedien in manchen Bereichen kritischer würden. Assad geht es darum, sich und seine religiöse Gruppe - also die Alawiten - an der Macht zu halten. Dafür braucht er die Zustimmung der Christen und Sunniten, die in den von ihm kontrollierten Gebieten wohnen. Politische Öffnung - bis zu einem gewissen Grad natürlich - kann ihm dabei nur nützen.

"Assad definiert, welche Opposition legitim ist"

tagesschau.de: Immer wieder betont er seine Sicht, dass die bewaffneten Aufständischen Terroristen seien. Was bedeuten seine Aussagen über politische Gegner und die Opposition für die Chancen auf eine Beendigung des Konflikts?

Saoub: Dies ist der entscheidende Punkt: Assad selbst definiert, welche Opposition für ihn legitim ist - und welche nicht. Die friedlichen Proteste, die es in seinem Land auch gegeben hat und noch immer gibt, blendet er dabei aus. Stattdessen bezieht er sich immer wieder auf die Einmischung von außen. Wenn er aber seine politischen Gegner pauschal als Marionetten der Saudis, Türken oder Katars brandmarkt, haben ein politischer Dialog und damit ein Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen wenig Chancen.

"Für ihn ist es kein Krieg gegen die Zivilbevölkerung"

tagesschau.de: Wie ist Assads Beschreibung der Lage in seinem Land zu beurteilen - was blendet er aus, was verschweigt er?

Saoub: Er bezeichnet die Lage in seinem Land als humanitäre Katastrophe, sieht also das Elend der Menschen und auch ihre Angst. Aber er verschweigt, welchen Anteil seine eigene Armee an diesem Elend hat; dass in den von Rebellen regierten Gebieten Zivilisten sterben durch den Beschuss der syrischen nationalen Armee, die sie doch eigentlich schützen sollte.

Für ihn ist es kein Krieg gegen die Zivilbevölkerung, sondern gegen militärische Gegner, die er pauschal als Terroristen bezeichnet und sich damit die Legitimität gibt, sie zu bekämpfen. Assad ignoriert die Einschätzungen der Vereinten Nationen, von Amnesty International oder Human Rights Watch, die wiederholt von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit berichtet haben. Für ihn sind solche Berichte Propaganda.

"Ziemlich zynisch"

tagesschau.de: Auf die Frage nach Kriegsverbrechen wie Bombardements von Krankenhäusern antwortet Assad eher ausweichend. Welche Mittel sind für ihn im Zuge dieses Krieges zulässig und wie rechtfertigt er das Vorgehen seiner Truppen?

Saoub: An dieser Stelle dreht er die Fragen um, und zwar auf der Basis seiner wiederholten Beteuerung, dass er Terroristen im eigenen Land bekämpfe. Daran schließt er eine Gegenfrage an: "Würden Sie dulden, dass in Ihrem Land Leute ein Maschinengewehr nehmen und Zivilisten erschießen?" Die folgende Feststellung, man könne bewaffnete Gruppen leider nicht mit Luftballons bekämpfen, finde ich ziemlich zynisch.

"Er bleibt bei seinem Standpunkt"

tagesschau.de: Nach Assads Worten setzt er auf Dialog - auch mit anderen Staaten. Zugleich erhebt er schwere Vorwürfe unter anderem gegen die USA, die Türkei und Saudi-Arabien. Sind in dem Interview neue Ansätze für eine Änderung von Assads bisheriger Haltung zur Beendigung des Krieges zu erkennen?

Saoub: Nein, er bleibt bei seinem bekannten Standpunkt: Er sei zu Gesprächen bereit, die anderen wollten diese nur nicht. Er braucht diesen Standpunkt auch nicht zu verändern, denn er kann sich auf starke Partner stützen. In seinem Interview mit ARD-Korrespondent Thomas Aders erklärt er, warum sich Russland, Iran und Hisbollah auf der Seite der syrischen Regierung in die Kampfhandlungen einmischen. Nach Präsident Assads Ansicht verteidigen sie damit sich selbst gegen eine irgendwann grenzenlose Macht des "Terrorismus" in der Region.

So begründet er übrigens auch, warum Syrien seine Souveränität behalte, trotz fremder Truppen auf seinem Boden, sie kämpften ja letztendlich für ihre eigenen Nationen. Mit dieser Haltung bleiben die zwei wesentlichen Fronten im syrischen Konflikt bestehen - zwischen Sunniten - also Saudi-Arabien, Türkei und Katar - und Schiiten - sprich: syrische Regierung, Iran, Hisbollah und auch Russland.

tagesschau.de: Was verspricht sich Assad davon, in der aktuellen Lage dem deutschen Fernsehen dieses Interview zu geben?

Saoub: Assad hat sich in der Vergangenheit sehr bedeckt gegeben, hat wenige Interviews gegeben und ist auch in Syrien eher selten in Erscheinung getreten. Seit seine Armee wieder Erfolge verbucht, spricht er mit verschiedenen, auch westlichen Pressevertretern. Es geht ihm um Präsenz und Legitimation. Auf der anderen Seite ist sich derzeit die internationale Staatengemeinschaft einig, dass es keinen Weg an Assad vorbei gibt. Insofern ist es auch umgekehrt für uns sinnvoll, zu wissen, wie dieser Präsident sein Land und die Welt sieht.

Die Fragen stellte per E-Mail David Rose, tagesschau.de.