Rechte Politiker in Delegation EU-Abgeordnete zu Besuch in Kaschmir
Indien will zeigen, dass die Notstandsregelungen in Kaschmir für die Muslime positiv sind. Dazu lud die Regierung Europaabgeordnete ein. Es kam eine Delegation aus meist rechten und ultrarechten Parteien.
Von Silke Diettrich, ARD-Studio Neu-Delhi
Nur wenige Stunden, bevor die EU-Parlamentarier in Kaschmir gelandet sind, hat es an mehreren Orten in Srinagar, der größten Stadt der Region, Proteste gegeben. Auf einem Video der Nachrichtenagentur AP sind maskierte Demonstranten zu sehen, die Steine auf ein Militärfahrzeug schmeißen. Einer von ihnen, mit einem Motorradhelm auf dem Kopf, gibt der Nachrichtenagentur ein kurzes Interview: "Seit mehr als 80 Tagen protestieren wir hier, aber das scheint niemand auf der Welt zu interessieren. Unsere Leute werden abgeschlachtet, alles ist geschlossen, die komplette Kommunikation ist lahmgelegt."
Die 23 EU-Parlamentarier sind die ersten internationalen Politiker, die nach Kaschmir reisen dürfen, seitdem die indische Regierung Anfang August dem Bundesstaat den Sonderstatus entzogen hat. Selbst ausländische Journalisten dürfen bislang nicht in die Region. Viele Gebiete dort sind von der Außenwelt abgeschnitten. Politiker aus der Region sitzen noch immer in Haft. Viele Mobilfunknetze funktionieren nach wie vor nicht. In Kaschmir leben mehrheitlich Muslime, die meisten Menschen in Indien allerdings sind Hindus. Von der derzeitigen hindu-nationalistischen Regierungspartei fühlen sich viele Muslime im Land an den Rand gedrängt. Was bemerkenswert ist: Die meisten EU-Parlamentarier der Delegation sind von rechten oder ultra-rechten Parteien: Von der AfD, der polnischen PiS, der Forza Italia oder der britischen Brexit-Partei. Dieser Gruppe will die indische Regierung nun offenbar beweisen, dass die Notstandsregelungen, die von der Bevölkerung Kaschmirs als Menschenrechtsverletzungen angeprangert werden, nur zum Besten seien für die Muslime. Das EU-Parlament schickte eine Stellungnahme: Die Rechtsaußen-Parlamentarier reisten als "Privatpersonen".
Kaschmir seit Sommer ohne Sonderstatus
Von den Protesten haben die europäischen Abgeordneten nichts gesehen, die Straßen waren komplett abgesperrt, als die Gruppe in mehreren schwarzen SUVs zu ihrem ersten Termin gefahren ist. Zu einem Militärstützpunkt der indischen Armee in Srinagar. Hunderttausende Soldaten sind in der Krisenregion Kaschmir stationiert. Und seitdem die indische Regierung dem Bundesstaat im Sommer den Sonderstatus entzogen hat, sind noch Zehntausende dazu gekommen. Auf dem Weg nach Kaschmir sagte der EU-Parlamentarier Nathan Gill von der Brexit-Partei der indischen Nachrichtenagentur ANI, für die ausländische Delegation sei es eine gute Möglichkeit, in Kaschmir vor Ort zu sehen, was genau vor sich gehe.
Straßensperre indischer Sicherheitskräfte in Kaschmir
Zweifel an Sinn des Besuchs
Aber genau das bezweifeln viele. Mit welchen Menschen in Kaschmir werden die EU-Parlamentarier überhaupt reden können, wenn sie in dicken Autos durch die Straßen fahren? Oder, wie im indischen Fernsehen zu sehen, auf Ruderbooten über den berühmten Dal-See gefahren werden. „Wir werden das sehen, was sie uns zeigen wollen“, soll ein französischer Abgeordneter der Nachrichtenagentur AFP gesagt haben. Genau das befürchten auch die Demonstranten in Neu-Delhi, die hier auf die Straße gehen, um der Welt zu sagen, dass die indische Regierung in Kaschmir gegen Menschenrechte verstoße. Der Demonstrant Aadil Nazir Khan:
"Wenn Sie die Schmerzen der Menschen in Kaschmir nachempfinden wollen, dann schließen Sie sich zu Hause ein, ohne Handy und ohne Fernseher. Die indische Regierung versucht hier, Lutscher in die Mäuler von einigen Leuten zu stopfen und will der Welt damit zeigen, dass in Kaschmir alles normal läuft.
"Delegation vertritt nicht das EU-Parlament"
Auch von Politikern der Opposition in Indien gibt es lautstarke Kritik über den Besuch der EU-Delegation, denn sie selbst durften in den vergangenen drei Monaten nicht nach Kaschmir reisen. Und Abgeordnete aus Kaschmir sitzen seit Monaten in Haft. Die EU-Parlamentarierin Theresa Griffin twitterte, die Delegation sei privat nach Indien gereist und nicht im Namen des EU-Parlaments. Sie sagt, dass Indien endlich aufhören müsse, die Menschen in Kaschmir von der Außenwelt abzusperren.