Flüchtlingsdebatten damals und heute "Es hat sich nichts bewegt in Europa"
Er könne seine Reden aus den 90er-Jahren noch heute unverändert halten, sagt EU-Parlamentspräsident Schulz über die europäische Asyldebatte. Einheitliche Regeln, gerechte Verteilung, Kampf gegen Schlepper - nicht nur Schulz hat regelmäßig Déjà-Vus.
Es gibt sie bisweilen, diese etwas unheimlichen Momente, in denen man am hellichten Tage denkt: "Moment, genau diese Szene habe ich schonmal erlebt." Über das Warum zerbricht sich die Hirnforschung nach wie vor den Kopf. Dass so manchem Politiker in Brüssel die Debatte über Flüchtlinge in Europa so vorkommt, als kenne er die längst in- und auswendig, ist da einfacher zu erklären: Die gibt es nämlich tatsächlich schon lange.
"Ich könnte die Rede unverändert halten"
Martin Schulz, heute Präsident des EU-Parlaments, saß schon in den 90er-Jahren in der Volksvertretung: "Wenn ich meine Reden aus diesen Jahren heute nehmen und das heutige Datum draufdrucken würde, könnte ich die Rede unverändert halten. Es hat sich nichts bewegt in Europa. Das einzige, was sich bewegt hat, sind die Flüchtlingszahlen - nach oben nämlich." Europa europäischer zu machen, was die Asylpolitik angeht, sprich: Regeln zu vereinbaren, die in allen Ländern gelten, versuchte die EU schon vor 20 Jahren.
Zum "Kampf gegen Menschenschmuggler" wurde dann Anfang des Jahrhunderts aufgerufen. Und auch diese Forderungen dürften so manchem bekannt vorkommen: "Sie müssen neben effizienter Grenzkontrolle die Ursachen bekämpfen. Und: Sie müssen kooperieren mit den Nachbarstaaten. Was wir nicht akzeptieren können, ist, dass die Menschen im Mittelmeer ertrinken." Diese Worte sprach - wohlgemerkt im Jahr 2005 - Wolfgang Schäuble, damals deutscher Innenminister.
Eine der ersten Fragen, mit der sich Schäuble kurz nach seinem Amtsantritt befassen musste: Sollte Europa nicht - etwa bestimmten Berufsgruppen - legale Wege auf den Kontinent öffnen? "Ich hab heute Vormittag gesagt, dass ich der Auffassung bin: Die Frage der legalen Migration ist nicht eine europäische Zuständigkeit."
Ruf nach gerechter Verteilung
Bis heute wollen sich die Einzelstaaten der EU in bestimmte Bereiche ihrer Asylpolitik nicht hineinreden lassen. Ein Thema, das zu den sensibelsten gehört: Braucht Europa nicht einen festen und fairen Verteilungsschlüssel, nach dem Flüchtlinge in Notsituationen auf die Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden können? "Wir haben eine Lastenverteilung gefordert. Also die Verpflichtung, dass die Flüchtlinge auch auf andere EU-Länder verteilt werden" - darum bat der damalige italienische Innenminister im Sommer 2009 angesichts kenternder Flüchtlingsboote im Mittelmeer. Ohne Erfolg.
Die EU-Länder beharrten auf der bis heute geltenden Regelung: In dem Land, in dem ein Flüchtling erstmals einen Fuß auf europäischen Boden setzt, muss er auch Asyl beantragen. Auch die Bundesregierung sah damals überhaupt nicht ein, dass man daran etwas ändern sollte: "Ich kann jetzt nicht sehen, dass das zu einer ungerechten Verteilung der Flüchtlingssituation geführt hat", so der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) noch vor zwei Jahren.
Heute findet die Bundesregierung die Verteilung auf einmal doch sehr ungerecht: Sie fordert vehement von den anderen EU-Ländern mehr Solidarität. Die sollen bitte mehr Flüchtlinge aufnehmen. Genau deshalb warnen auch Kritiker: Deutschland solle doch bitte - trotz der unbestritten hohen Zahl von Asylanträgen - heute nicht so tun, als sei es der "barmherzige Samariter" Europas.