Balkan-Strategie der EU Motivieren - nicht garantieren
Für die EU ist es eine Gratwanderung: Sie will die Westbalkanstaaten an sich binden. Gleichzeitig gibt es aber starke Vorbehalte gegen eine überhastete Erweiterung. Geht die neue Strategie auf?
Wie heftig in der EU über einen möglichen Beitritt gewisser Länder gestritten wird, das haben die Europäer in den letzten Jahren am Beispiel Türkei eindrucksvoll erfahren. Was den Balkan betrifft, so zeichnet sich bereits jetzt eine nicht minder feurige Diskussion ab.
In Wahrheit ist die Temperatur dieser Debatte längst so hoch, dass sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nun im Parlament genötigt sah klarzustellen: "Ich möchte, dass die Westbalkanstaaten der Europäischen Union beitreten können, wenn die Bedingungen erfüllt sind." Zur Zeit seien sie es nicht. "Und alle sind noch weit davon entfernt", so Juncker.
EU-Beitritt bis 2025?
Für Aufregung sorgt, dass die Kommission in ihrem Strategiepapier erstmals ein konkretes Datum nennt - das Jahr 2025 -, bis zu dem sie den Beitritt der zwei Spitzenreiter im Anwärter-Sextett, nämlich der Staaten Montenegro und Serbien, zumindest für möglich hält.
Eine feste Zusage, dass sich dann die EU-Beitrittstür öffnet, ist das - wie Juncker unterstreicht - nicht: "Es ist falsch, wenn behauptet wird, ich oder die Kommission hätten gesagt, bis 2025 müsse der Beitritt von Serbien und Montenegro unter Dach und Fach sein - nein!" Dies sei ein indikatives Datum, ein "Ermunterungsdatum".
Eine Art neuen "Willkommensgeist" von Seiten der EU sollen die Balkanstaaten durchaus verspüren: Erlahmt ihre Lust auf einen EU-Beitritt, erlahmt auch der wirtschaftliche Reformeifer, und der Ansporn zur Aussöhnung untereinander fällt weg - so die Befürchtung der EU. Der EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ist also dieses Signal sehr wichtig: "Heute ist klar, und genau das ist unsere Botschaft, dass wir eine gemeinsame Zukunft in der Europäischen Union haben werden."
Es geht um Einfluss in der Region
Neben der offen geäußerten Befürchtung, der Balkan könne wieder in die 90er-Jahre abgleiten, und kriegerische Konflikte könnten wieder offen ausbrechen, gibt es mindestens zwei weitere Gründe, warum die EU nun den Balkan sozusagen neu entdeckt: Russland und China. Beide sind intensiv damit beschäftigt, ihren Einfluss in der Region auszubauen.
Moskau wird dabei immer wieder unterstellt, bewusst Konflikte zu schüren. Diesen geostrategischen Wettlauf will die EU nicht verlieren. Auch wenn sie ungern offen darüber redet. Auch das ist ein Grund, warum die Balkanländer nun an die Hand genommen und an die EU herangeführt werden sollen. Eines stellt Juncker allerdings klar: "Es wird zu keinem weiteren Beitritt der Westbalkanländer kommen, ohne dass die Grenzkonflikte vorher gelöst sind. Vorher!"
Genau so ein Grenzkonflikt zwischen zwei Staaten, die bereits in der EU sind - Kroatien und Slowenien -, war zuletzt offen ausgebrochen. Auch was andere Problemfelder angeht, ist das Strategiepapier sehr energisch: Der Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen "muss echte Ergebnisse zutage fördern", heißt es da zum Beispiel.
Hier zeigt sich deutlich, dass die Kommission zwischen zwei Polen hindurchmanövrieren muss: Sie will Motivationshilfe für einen klaren EU-Kurs der Balkan-Länder leisten - und gleichzeitig die Erweiterungsskeptiker in den eigenen Reihen besänftigen.