EU-Beschlüsse zur Migration Populisten geben den Ton an
"Mein Land zuerst" - diese Haltung macht sich EU-weit breit, meint Pascal Lechler. Das zeigt auch dieser Gipfel. Auch eigentlich liberale Länder sind umgekippt, früher Undenkbares ist inzwischen mehrheitsfähig.
Was für ein Wirbel! Grenzschutz, Lager, Abschreckung - das ist Europas Ultima Ratio. Na prima.
Dabei kommen deutlich weniger Flüchtlinge nach Europa. Und das Grundproblem der gerechten Verteilung von Migranten wird mit der Einigung von heute Nacht auch nicht gelöst. Aber was sind schon Fakten in Zeiten, in denen Populisten den Ton angeben.
Egoismus macht sich breit
Immer mehr macht sich in Europa der Egoismus breit, nicht nur in Ungarn, Österreich oder Italien: "Mein Land zuerst" - Gemeinschaft nur da, wo sie mir nutzt, nämlich wenn es um die Brüsseler Geldtöpfe geht. Nicht Merkel mit einer inzwischen auch abgespeckten Version einer humanen Flüchtlingspolitik gibt die Richtung vor, sondern die Scharfmacher gegen Migranten, die Orbans und die Salvinis.
Das Bittere: Reihenweise sind auch die eher liberalen Länder in Fragen der Migrationspolitik umgekippt. Schweden, die Niederlande, selbst Belgien will keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.
Wie auch immer geartete Lager, ob nun außerhalb der EU oder am Mittelmeer - sie hätten vor zwei Jahren noch für einen Aufschrei gesorgt - sind inzwischen mehrheitsfähig. Rechtliche Fragen werden ausgeblendet.
Und irgendwo dazwischen taumelt Merkel
Und irgendwo zwischen Humanität und Abschreckung taumelt die von der CSU getriebene Kanzlerin. Um sie herum ist es einsam geworden: Der französische Präsident will ihr helfen, scheint auf ihrer Linie, wenn er Merkel zusichert, Migranten, die bereits in Frankreich Asyl beantragt haben, wieder zurücknehmen. Im eigenen Land hat Macron aber eben nach Seehofer-Manier das Asylrecht verschärft. Von ihm kommt auch der Vorschlag für geschlossene Lager in Europa, der den Gipfel in dieser Nacht gerade noch gerettet hat.
Wohl speziell für Merkel hat Ratspräsident Tusk einen Passus in die Gipfel-Abschlusserklärung einbauen lassen: "Sekundärmigration" - oder "Asyltourismus", wie es die CSU nennt - soll unterbunden werden. Wie? Mit Hilfe von bilateralen Abkommen. Allerdings alles auf der Grundlage der bestehenden Dublin-Regeln. Österreichs Innenminister Herbert Kickl hat aber bereits vor dem Gipfel gesagt, dass er von Deutschland keine Flüchtlinge zurücknehmen werde. Auch die Italiener winken ab.
Merkel wird es also schwer haben, bilaterale Abkommen zu schließen, die den Streit daheim mit der Schwesterpartei beenden könnten. Aber auch die CSU kann sich ein Zurückweisen an den Grenzen ohne Prüfung der Sachlage abschminken.
Der Streit bleibt ungelöst
Und am Ende bleibt eines unbefriedigend: Der harte Kurs der Europäer gegenüber Flüchtlingen, vor allem aber die geschlossenen Aufnahmelager - ob nun in der EU oder außerhalb der EU - lösen den seit nunmehr drei Jahren dauernden Streit der gerechten Verteilung von Flüchtlingen in Europa nicht. Es bleibt dabei: Manche Länder zeigen sich solidarisch und nehmen Migranten auf, andere verweigern sich weiterhin. Eine gesamteuropäische Lösung sieht anders aus.
Am 1. Juli übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft. Spannend. Denn dann darf Bundeskanzler Kurz schauen wie er die Reform des Dublin-Systems hinbekommt. Dann soll er zeigen, dass er mehr kann, als nur zu wirbeln.
Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.