Europa und der Klimaschutz Kaum ein EU-Land erreicht Klimaziele
Das Thema Klimaschutz haben sich viele Regierungen in der EU auf die Fahnen geschrieben. Doch die wenigsten erreichen die selbst gesetzten Klimaziele. Die Europäische Umweltagentur schlägt Alarm.
500 Seiten stark ist er, der neue europäische Umweltbericht. Zahlen, Daten und Statistiken dazu, wie es um die Umwelt in den 28 Mitgliedsstaaten bestellt ist. Das Ergebnis zusammengefasst: verheerend. "Wir müssen jetzt wirklich investieren und etwas ändern, um weitere Schäden zu verhindern. Es ist schon fünf nach zwölf," sagt Hans Bruyninckx, der Direktor der Europäischen Umweltagentur und fordert einen Kurswechsel.
Seit dem letzten umfassenden Bericht der Agentur, einer Bestandsaufnahme vor fünf Jahren, habe sich die Situation der Umwelt in Europa deutlich verschlechtert, konstatiert Bruyninckx. Nur Griechenland, Portugal und Schweden erreichen ihre Klimaziele. Und das, obwohl das Thema Klima derzeit Hochkonjunktur erfahre. Von 35 gemessenen Bereichen schaffen die EU-Staaten nur in sechs Feldern ihre Zielvorgaben für 2020. Etwa bei der Ausweisung von Landschafts- oder Wasserschutzgebieten oder dem Müllmanagement.
Bei der Artenvielfalt hingegen (der Schmetterlingsbestand in der EU ist um fast 40 Prozent zurückgegangen) oder dem Ausstoß von Treibhausgasen sind die vorgegebenen Richtwerte noch nicht mal in greifbarer Nähe. 80 Prozent der Treibhausgase kommen aus fossilen Brennstoffen. Bruyninckx erläutert:
Wir brauchen dringend einen Durchbruch bei den erneuerbaren Energien, wir brauchen neue Mobilitätskonzepte, zum Beispiel Elektromobilität, bessere Transportsysteme und ganz wichtig: Wir müssen uns mit den Landwirten beschäftigen und gemeinsam einen Weg finden, wie wir die Lebensmittelproduktion gestalten wollen.
Der Schmetterlingsbestand ist um 40 Prozent zurückgegangen.
In diesen vier Bereichen fordert die in Kopenhagen ansässige Agentur stärkere Anstrengungen:
1. Erneuerbaren Energien:
Deren Anteil liegt im Moment nur bei etwa 20 Prozent, aber bis spätestens 2050 soll er auf 80 Prozent ausgebaut werden, wenn Europa tatsächlich zum ersten klimaneutralen Kontinent der Erde werden möchte. Das Problem: Noch stärker als der Ausbau der Erneuerbaren steige der Energieverbrauch - bedingt durch Bevölkerungswachstum und energieintensive Technologien.
Der Anteil der erneuerbaren Energien müsste auf 80 Prozent ausgebaut werden.
2. Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion:
Die Böden ächzen, Arten sterben, 2,8 Millionen Flächen in Europa sind kontaminiert. Die Qualität des Grundwassers liegt in Deutschland in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft zum Beispiel in Norddeutschland an den meisten Messstellen unter den vorgegebenen Werten.
3. Transport:
Zu viele Menschen unterwegs, zu viele Autos auf den Straßen, Schienennetze nicht richtig erschlossen. 33 Prozent des europäischen Energieverbrauchs entfallen auf Mobilität. Gerade das Autoland Deutschland hat hier Nachholbedarf - nur ein Drittel der Deutschen nutzt den öffentlichen Personen-Nahverkehr. Dabei liegt der CO2-Ausstoß pro Kilometer bei einer U-Bahn oder Straßenbahn bei sieben Gramm, mit dem Auto sind es auf der gleichen Strecke 130 Gramm.
Nur ein Drittel der Deutschen nutzt den öffentlichen Personen-Nahverkehr.
4. Klimaeffizientes Bauen in Städten
Die Landversiegelung in der EU sei in den vergangenen fünf Jahren um mehr als sieben Prozent gestiegen. Jedes Jahr werden etwa 350 Quadratkilometer Fläche zugebaut. Luftverschmutzung und Lärm zählen in Europas Metropolen zu den Hauptgesundheitsrisiken. Obwohl die Luftqualität in Europa besser wird, übersteigt die Luftverschmutzung in nahezu allen europäischen Städten die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Werte. Etwa ein Viertel der Europäer lebt dem Bericht zufolge in Gegenden, in denen die Geräuschkulisse lauter als 55 Dezibel ist. 113 Millionen Menschen sind konstant Straßenlärm ausgesetzt.
Was tun?
Die Fakten sind bekannt. Doch was tun? Das Hauptproblem: In den vergangenen fünf Jahren wurden zwar viele Gesetze in diesen Bereichen verabschiedet, aber in den einzelnen Mitgliedsstaaten nur halbherzig umgesetzt. Das kritisiert neben der Umweltagentur auch der Europa-Abgeordnete Peter Liese (CDU) aus dem Umweltausschuss. Zwar setze man sich Ziele, aber es würden keine strengen Regeln vorgegeben, sie auch umzusetzen. Das halte er für schlecht für die Umwelt, aber auch für die Wirtschaft, denn fehlende Konsequenz setze auch keine Anreize für Investitionen in neue Technologien.
Das beobachtet auch Hans Bryninckx. Europa brauche dringend neue Impulse. Es helfe nicht, den Verbrennungsmotor des 19. Jahrhunderts noch minimal verbessern zu können. Es bedürfe einer Alternative für das 21. Jahrhundert. Besonders mit Blick auf Deutschland kritisiert der Agenturleiter das Festhalten an Verbrennungsmotoren und Kohle. "Wir müssen besser darin werden, Dinge loszulassen, die keine Zukunft haben."
Die neue EU-Kommissionschefin will Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen.
Eine Billion für den Klimaschutz
Immerhin, die neue Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die Brisanz erkannt und für März ein neues Klimakonzept - den Green Deal angekündigt. Europa soll 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Erde werden. Eine Billion Euro will von der Leyen in den kommenden zehn Jahren in den Klimaschutz investieren. Und das wird sie auch müssen, wenn sie ihre ambitionierten Ziele erreichen will. Das aber, sagt der Umweltbericht voraus, geht nur mit Einschnitten für alle.