Streit vor EU-Gipfel zu Klimaschutz und Finanzkrise Die "Klimakanzlerin" entdeckt Ausnahmen
Einerseits will die EU Vorreiter beim Klimaschutz sein. Doch angesichts der Wirtschaftskrise drängen viele Staaten auf Ausnahmen - auch Deutschland. Kanzlerin Merkel will die energieintensiven Branchen beim Emissionshandel schützen. Dem EU-Gipfel drohen schwierige Verhandlungen.
Von Wolfgang Otto, WDR-Hörfunkstudio Brüssel
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy zeigt sich wild entschlossen. Bis Ende des Jahres hat er noch die europäische Ratspräsidentschaft inne und bis dahin will er das EU-Klimapaket unter Dach und Fach bringen. Dafür stehe er mit seiner ganzen Person ein, meinte Sarkozy kürzlich im Europaparlament: "Wenn Europa nicht die nötigen Anstrengungen unternimmt, dann sind die Chancen, den Rest der Welt vom Klimaschutz zu überzeugen, gleich Null."
Deshalb ist auch den meisten Staats- und Regierungschefs klar: An der bereits vereinbarten Treibhausgas-Verringerung darf nicht gerüttelt werden. Dafür will sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel einsetzen. "20 Prozent Reduktion bis 2020 und 20 Prozent erneuerbare Energien - alles unstrittig."
Und dann folgt ein "Aber"...
Doch ausgerechnet die "Klimakanzlerin" Angela Merkel sorgt in einem wichtigen Punkt für Streit, denn Deutschland fordert Erleichterungen beim Klimaschutz für die energieintensive Industrie. Stahlkocher, Aluminium- und Zementwerke, bestimmte Unternehmen der chemischen Industrie sowie Raffinerien und Kokereien sollten ihre CO2-Verschmutzungsrechte gratis bekommen, meint Merkel.
Diese Verschmutzungsrechte geben vor, wieviel CO2 ein Betrieb in die Luft blasen darf. Eigentlich sollen die Unternehmen diese Verschmutzungsrechte wie an einer Börse kaufen, doch Deutschland fordert Freizertifikate, weil ansonsten energieintensive Betriebe ins außereuropäische Ausland abwandern könnten.
Auf dem CDU-Parteitag zeigte sich die Kanzlerin deshalb kämpferisch. Es wäre "ökonomischer Unsinn", wenn jetzt "ökologische Arbeitsplätze" aus Deutschland in andere Regionen der Welt verlagert würden, "nur weil sie energieintensiv sind", rief sie den Delegierten zu. "Das wird mit uns nicht zu machen sein und da werde ich auch hart verhandeln, auch wenn es dann manchmal heißt, wir sagen zu oft nein."
Hubertus Schmoldt, der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, weist darauf hin, "dass direkt 108.000 Arbeitsplätze entfielen". In den Branchen Chemie, Kautschuk, Papier, Zement und Ziegel seien es alleine 80.000 bedrohte Arbeitsplätze. Und wenn man die ebenfalls betroffenen Zulieferer hinzurechne, ergebe sich "ungefähr ein Volumen von rund 300.000 Arbeitsplätzen". Er bezieht sich auf eine Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat.
Umweltschützer machen Gegenrechnung auf
Umweltschützer zweifeln diese Zahlen allerdings an. Außerdem müsse man die Arbeitsplätze gegenrechnen, die durch Klimaschutz entstehen, meint Stefan Singer von der Naturschutzorganistation WWF. "Das Problem ist, dass diejenigen, die jetzt die Jobs haben und die traditionellen Unternehmen vertreten, am lautesten schreien und die, die neue Jobs kriegen, gar nicht organisiert sind."
Die Wirtschaftskrise verschärft die Angst um bestehende Arbeitsplätze. Und so fordern die Osteuropäer einen Ausgleich für ihre Klimaschutzbemühungen. Die Polen wollen Ausnahmen speziell für ihre Kohlekraftwerke, und die Italiener würden das Klimaschutzprogramm am liebsten gleich komplett verschieben auf eine Zeit nach der Wirtschaftskrise. Doch so weit wird es nicht kommen, meint Angela Merkel. "Das darf nicht verdecken, dass wir insgesamt vor einem großen Schritt Europas stehen und damit unsere Rolle als Vorreiter in der Klimapolitik auch untermauern."