Die EU und Tunesien Mit dem Diktator auf Tuchfühlung - und jetzt?
Europa hat das gestürzte Regime in Tunesien viele Jahre lang hofiert, doch mit Selbstkritik tut man sich im Europäischen Parlament schwer. Eine Debatte fand zur Nachtzeit statt, und ein neuer Kurs ist nicht erkennbar.
Von Martin Durm, ARD-Hörfunkstudio Straßburg
"Lage in Tunesien", stand diese Woche auf der Tagesordnung des EU-Parlaments, "Debatte ohne Entschließung". Die Debatte wurde auf den ersten Sitzungsabend gelegt, als ohnehin kaum einer da war im Straßburger Parlament. Das allein ist schon bezeichnend. Die Europäische Union und ihre Vertreter tun sich offensichtlich schwer, für den epochalen Umsturz in unmittelbaren Nachbarschaften die passenden Worte zu finden: "Es ist natürlich schwierig hier zu sagen, dass wir das beeinflussen können, denn dieses ist ja die Implosion eines Regimes durch die Bevölkerung selbst", sagt Elmar Brok, christdemokratischer Europaabgeordneter, einer der führenden Außenpolitiker der EU.
Die EU unterstützte in den vergangenen Jahren nicht die tunesische Opposition, sondern tat das konsequente Gegenteil: Sie subventionierte einen Machthaber, der seine politischen Gegner einkerkerte, die Medien knebelte, die Bevölkerung ausraubte und unterdrückte. Daran jedoch lässt sich Brok nicht gern erinnern: "Wir haben auch mit der Sowjetunion kooperiert und wir haben auch Kontakte zur alten DDR-Regierung gehabt." Mit Blick auf den Machtwechsel in Tunis meint er, dass man immer erst absehen müsse, wann der Punkt da sei, mit einer Regierung zusammenzuarbeiten. Dabei müsse auch immer gleichzeitig die Bereitschaft da sein, demokratische Entwicklungen zu fördern.
Die EU und Ben Ali arbeiteten eng zusammen
Die Europäische Union hätte eigentlich viele Instrumente zur Verfügung gehabt, um politischen Druck auf Tunesiens gestürzten Diktator auszuüben. Immerhin waren die Europäer die wichtigsten Handelspartner Ben Alis, hatten 1995 ein Assoziationsabkommen mit ihm geschlossen, 2008 eine Freihandelszone gegründet und feierten ihn auf Gipfeltreffen als Säule der Stabilität. Die europäischen Regierungen hofierten und honorierten Ben Ali dafür, dass er selbst moderate Islamisten mit Härte bekämpfte und afrikanischen Flüchtlingen den Weg nach Europa blockierte.
Vor allem Frankreich pflegte engste Kontakte mit dem tunesischen Machthaber. Der konservative Europaabgeordnete Dominique Baudis merkt an: "Das ist aber keineswegs eine Unterstützung des Diktators gewesen. Wir und die Europäer haben nicht mit Personen, sondern mit dem Staat zusammengearbeitet."
Monsieur Baudis ist, nebenbei bemerkt, auch Direktor des einflussreichsten Instituts der Arabischen Welt in Paris und berät Präsident Nicolas Sarkozy. "Ich glaube", sagt er, "zutiefst an die Nichteinmischung in die innere Angelegenheiten anderer Länder."
Europa und seine Nachbarschaftspolitik
Frankreichs Außenministerin Michele Alliot-Marie bot dem Regime in den Tagen des tunesischen Aufstands polizeiliche Unterstützung an. Das war für den Europaabgeordneten Baudis natürlich keine Einmischung in innere Angelegenheiten: "Sie hat doch nur angeboten, den tunesischen Sicherheitskräften beizubringen, wie man mit Demonstranten umgeht, ohne sie gleich zu töten" sagt der EU-Politiker.
In der arabischen Welt, wo sich Millionen Menschen endlich wieder trauen, an das Ende jahrzehntelanger Despotien zu glauben, wird man sich dieses europäische Angebot sicher merken. Lage in Tunesien - Debatte ohne Entschließung, heißt es derweil im EU-Parlament. Der Abgeordnete Brok weiß nun auch nicht mehr, wie es weitergehen soll mit der europäischen Nachbarschaftspolitik: "Wir haben ja im Rahmen der Nachbarschaftspolitik und des Barcelona-Prozesses das Nation-Building..."