Lukaschenko in Belarus Voller Macht, aber abhängiger denn je
Vor zwei Jahren ließ sich Lukaschenko nach einer Schein-Wahl in Belarus zum Sieger erklären, Proteste wurden brutal niedergeschlagen. Heute sitzt er fest im Sattel. Doch von Russland ist er abhängiger denn je.
Alexander Lukaschenko ist in seinem Element. Er scherzt mit ein paar älteren Damen, die seinen Besuch in einem Einkaufszentrum begeistert beklatschen. Er schäkert mit einer jungen Verkäuferin, die ihm lächelnd gefüllte Teigtaschen anbietet, seine - wie er theatralisch seufzend sagt - "große Schwäche".
"Ich kenne die Stimmung im Volk"
Lukaschenko liebt Auftritte wie diesen - das Bad in der Menge. Den Applaus, die warmen Worte, die ihm als Beleg für das dienen, was er eigentlich schon immer wusste:
Wir sehen, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind, und dass wir nicht ohne gegenseitige Liebe und Unterstützung leben können. Danken wir uns gegenseitig, dass wir Belarus weiter stärken und voranbringen.
Selbst diejenigen, die vor zwei Jahren auf die Straße gegangen seien, sagt Lukaschenko in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP, seien inzwischen aufgewacht: "Und viele sagen, oh, wir haben uns da falsch verhalten. Glauben Sie mir, ich kenne die Stimmung im Volk. Was wäre gewesen, wenn ich 2020 alles hingeworfen hätte und gegangen wäre? Dann wäre es in Belarus heute schlimmer als in der Ukraine."
Politologe: Ukraine-Krieg hat Einfluss
Der Verweis auf das Nachbarland kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich würden viele Belarusen vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine ihre eigene Lage wieder deutlich positiver bewerten, sagt der belarusische Politologe Artyom Shraibman. Das Verhältnis zum Machtapparat habe sich verändert. Auch, weil es Lukaschenko bisher gelungen sei, das Land aus direkten Kampfhandlungen herauszuhalten.
Das habe dazu geführt, dass innerhalb der belarusischen Gesellschaft die Akzeptanz wieder gestiegen sei, sagt Shraibman. "Umfragen im Mai und im Juni zeigen, dass der politisch eher neutrale Teil wieder auf die Seite der Regierung gewechselt ist, nachdem er 2020 zur Opposition gegangen war."
Opposition im Exil oder in Haft
Eine Opposition, die im Land selbst derzeit keine Möglichkeit hat, dem repressiven Regime etwas entgegen zu setzen. Diejenigen, die Lukaschenko politisch herausgefordert haben - wie der langjährige Oppositionsführer Nikolaj Statkewitsch oder auch die Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa, die zum Gesicht der Massenproteste wurde - sitzen in Gefängnissen und Lagern langjährige Haftstrafen ab. Andere, wie die damalige Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, wurden ins Exil gezwungen.
Zwar ist Tichanowskaja nach wie vor viel unterwegs und kämpft auf der internationalen Bühne um Aufmerksamkeit und Unterstützung für die belarusische Demokratiebewegung. Doch ihr Rückhalt in den Reihen der Exil-Opposition schwindet.
Opposition sucht nach Perspektive
Die Bewegung, sagt Politologe Shraibman, befinde sich inzwischen in einer tiefen strukturellen Krise. "Sehr viele verschiedene Akteure, Aktivisten und Politiker attackieren Tichanowskaja inzwischen, weil sie nicht entschlossen genug ist, kein Exil-Kabinett gründet, nicht als Präsidentin auftritt, keine Befreiungsbewegung gründet".
Dass es dringend eine neue Perspektive braucht, weiß auch Tichanowskaja. Die 39-Jährige hat deshalb für Anfang August zu einem großen Oppositionskongress in Litauen eingeladen, auf dem über Prioritäten, Zuständigkeiten und mögliche Umstrukturierungen diskutiert werden soll. Das wichtigste Ergebnis der zwei Arbeitstage werde sein, gemeinsam zu beschließen, was zu tun ist - "und dass wir weiter als einheitliche Front arbeiten", sagt Tichanowskaja.
Lukaschenkos Abhängigkeit von Russland wächst
Einer Front, von der in Belarus selbst nicht mehr viel übrig ist. Unabhängige Medien, Bürger- und Menschenrechtsorganisationen wurden zerschlagen, kritische Stimmen mundtot gemacht. Andersdenkende aus allen gesellschaftlichen Bereichen sitzen in Gefängnissen und Lagern oder mussten das Land verlassen.
Lukaschenko sitzt wieder fest im Sattel. Allerdings, meint der Politologe Shraibman, nicht ganz so fest wie vor 2020:
Er wird immer abhängiger von Russland. Der Korridor, in dem er manövrieren kann, ist sehr viel enger geworden. So eng, wie noch nie zuvor in der Geschichte des unabhängigen Belarus.
Lukaschenko hänge nicht mehr nur am wirtschaftlichen Tropf Russlands. Er habe auch militärisch an Souveränität eingebüßt. Es sei eine schrittweise Erosion der Unabhängigkeit, die er eigentlich nie aufgeben wollte.
Widerstand wird im Keim erstickt
Es ist der Preis für die Macht, die er auch nach 28 Jahren nicht gewillt ist, herzugeben. Es ist sein Belarus, sein Volk - "das für mich gestimmt hat und mich bis heute unterstützt", sagt Lukaschenko.
Wer nicht für ihn stimmt und ihn nicht unterstützt, riskiert seine Zukunft, seine Freiheit. Der Machtapparat setzt weiter alles daran, jede Form von Widerstand im Keim zu ersticken. Diesen Widerstand dauerhaft zu brechen aber wird nach all der Gewalt wohl nicht mehr gelingen.