Urteil des EuGH Schutzstatus wegen häuslicher Gewalt möglich
Frauen, die durch häusliche Gewalt bedroht werden, kann ein Flüchtlings- oder Schutzstatus zugesprochen werden. Das entschied der Europäische Gerichtshof. Frauen seien dieser Form der Gewalt oft hilflos ausgeliefert.
Das Oberste Gericht der EU hat in einer grundlegenden Entscheidung festgelegt, dass auch häusliche Gewalt Anlass sein kann, Frauen als Flüchtlinge anzuerkennen. Schutz sei zu gewähren, selbst wenn die Bedrohung nicht vom Staat, sondern von Privatpersonen ausgehe.
Geklagt hatte eine türkische Kurdin, die 2018 nach Bulgarien eingereist war. Sie hatte bei Befragungen angegeben, sie sei mit 16 Jahren zwangsverheiratet worden, habe drei Töchter bekommen und sei während ihrer Ehe von ihrem Mann immer wieder geschlagen worden. Ihre eigene Familie habe ihr nie geholfen.
2016 sei sie aus der Wohnung geflohen. Im Jahr darauf habe sie eine Strafanzeige erstattet, auch weil sie am Telefon immer wieder von ihrem Mann bedroht worden sei. 2018 wurde sie geschieden und fürchtet nun, von ihm, von seiner oder ihrer Familie getötet zu werden, wenn sie in die Türkei zurückkehren muss.
Bulgarische Gerichte lehnten Schutzstatus ab
Die bulgarischen Gerichte lehnten es allerdings ab, der Frau Schutz zu gewähren. Häusliche Gewalt sei nach bulgarischem Recht kein Verfolgungsgrund, und sie sei auch nicht Opfer von Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts. Sie könne vor allem auch deswegen keinen Schutz bekommen, weil es nicht der türkische Staat sei, der sie verfolgt habe.
EuGH beruft sich auf Istanbul-Konvention
Aber diese Argumente greifen nicht, urteilten nun die Obersten Richterinnen und Richter der EU. Die große Kammer, ein wichtiges Gremium des Gerichthofs, hat entschieden: Wenn Frauen in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts sexueller oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, kann ihnen internationaler Schutz in der EU gewährt werden. Sei es, dass sie als Flüchtlinge anerkannt werden oder zumindest nicht abgeschoben werden dürfen.
Dabei bezieht sich der Gerichtshof auf die sogenannte Istanbul-Konvention, also das internationale Übereinkommen von 2011 zum Schutz von Frauen vor Gewalt.
Peter von Auer von der Hilfsorganisation Pro Asyl begrüßte das Urteil: Die Entscheidung zeige wieder einmal, wie wichtig die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt sei und dass sie eben auch im Asylrecht eine Rolle spiele.
In dem Urteil setzt sich der Europäische Gerichtshof auch mit der Frage auseinander, inwieweit bedrohte Frauen Gelegenheit hätten, an ihrer Situation selbst etwas zu ändern. Die Ansicht der Richterinnen und Richter: Frauen, die sich einer Zwangsehe entziehen oder ihren Haushalt verlassen, könnten häufig nichts machen. Das würde in bestimmten Ländern von der Gesellschaft missbilligt und sie würden stigmatisiert.
Pro Asyl hofft auf "europaweite Klarheit" durch Urteil
So deutlich wie in dieser Entscheidung habe sich der EuGH noch nicht bewegt, sagte von Auer von Pro Asyl. Aktuell läge dem Gerichtshof auch der Fall einer afghanischen Frau in vergleichbarer Situation vor.
In Deutschland hätten die Gerichte allerdings in den vergangenen Jahren ohnehin schon öfter zugunsten der Frauen entschieden, sagte von Auer. Aber er denke, dass es jetzt insgesamt europaweit dadurch einfach Klarheit gebe. Der EuGH habe gezeigt, dass in diesen Fällen europaweit Schutz zu gewähren sei.
Allerdings müssen Behörden und Gerichte nach diesem Urteil die jeweiligen Tatsachen trotzdem individuell prüfen. Der EuGH entschied, die Bedrohung sei von Fall zu Fall "mit Wachsamkeit und Vorsicht" zu ermitteln.