Reaktion auf Gewaltwelle Macrons Plan für Marseille
Marseille hat seit Langem ein Kriminalitäts- und vor allem Drogenproblem. Doch nun eskaliert die Gewalt, der Präsident ist alarmiert. Ein Plan soll vorgestellt werden. Doch schon vorher gibt es Zweifel.
"Eine Kalaschnikow kann man hier so einfach kaufen wie ein Schokocroissant", sagte der sichtlich aufgewühlte Marseiller Bürgermeister Benoît Payan morgens im Radio. Das war am Tag, nachdem ein 14-Jähriger bei einer Schießerei mit einem Sturmgewehr in der Siedlung "Les Marronniers" im Norden der Stadt ums Leben gekommen war. Drei Tage später: wieder drei Tote - einer davon, offenbar von Kalaschnikows durchsiebt, in einem ausgebrannten Auto. Mit dieser Gewalt-Eskalation in den vergangenen Wochen hat es die zweitgrößte Stadt Frankreichs in die Schlagzeilen gebracht - 15 Tote gab es bislang allein in diesem Jahr.
In Marseille selbst hat die Eskalation wenige überrascht. Seit Jahren blüht der Drogenhandel. Gerade in den ärmeren Vierteln von Marseille ist das für viele eine willkommene Einkommensquelle. "Allein wer Schmiere steht, kann am Tag 150 Euro verdienen. Das ist deutlich mehr als der Mindestlohn der Eltern", sagt Rudy Manna von der Polizeigewerkschaft "Alliance". Im 14. Arrondissement, wo der 14-jährige Junge erschossen wurde, gelten 42 Prozent der Bewohner als arm, etwa 40 Prozent der unter 25-Jährigen sind arbeitslos.
Laut Rudy Manna kommt die Polizei kaum hinterher, die Drogendealer regelmäßig bei ihren Geschäften zu stören: "42 Siedlungen, mit 156 Orten, an denen Drogen verkauft werden, das ist viel. Es ist quasi unmöglich, das täglich zu kontrollieren."
Gesetzlosigkeit wie "Gotham City"? Die Einfahrt in das Marseiller Viertel "Les Maronniers" stimmt auf schwierige Zustände ein.
Banden kämpfen um die Vorherrschaft
So floriert das Geschäft mit den Drogen in Marseille. "Rund zehn bis 15 Millionen Euro werden im Drogenhandel in den ärmeren Vierteln von Marseille umgesetzt - pro Monat", schätzt Xavier Monnier, ein Journalist, der viel in dem Milieu recherchiert hat. "Seit 15 Jahren kämpfen verschiedene Banden um die Vorherrschaft", sagt er. Und das eben auch mit Waffen.
Dass es jetzt eskaliert, sei eine "logische Konsequenz": "Einige der Drogenbosse sind festgenommen worden - nun wollen neue Akteure ein Stück vom Kuchen haben", so Monnier. Es finde ein regelrechter Krieg um die Verteilung der Territorien statt. Die Polizei hat dieses Jahr mehr als 1200 Personen in Gewahrsam genommen und 800 verhaftet. Festnahmen sorgen noch zusätzlich für Verteilungskämpfe, so Monnier. Wenn die Polizei Dealer auf der Straße festnehme, könne es auch zu Konflikten kommen, welche Bande die Position in Zukunft übernehme.
"Netzwerke aufdecken, gegen Kriminalität kämpfen, dem Drogen- und Waffenhandel ein Ende setzen, das ist nicht nur Sache von Marseille, sondern vom Staat", fordert Benoît Payan, der seit Dezember Bürgermeister von Marseille ist.
Macrons Plan für Marseille
Der französische Präsident hat sich nicht lange bitten lassen. Emmanuel Macron reist heute nach Marseille und bleibt drei Tage, so lange wie nie. Außerdem bringt er acht Regierungsmitglieder mit. Es ist der ganz große Auftritt, und vielleicht schon der inoffizielle Startschuss des anstehenden Präsidentschaftswahlkampfs.
Macron will einen Plan für Marseille verkünden, der für mehr Sicherheit in der Stadt sorgen soll. 200 der 472 Schulen sollen renoviert werden. 300 Millionen Euro sollen in die Sanierung von Wohnraum fließen. In den betroffenen Vierteln sollen mehr Kameras installiert werden und die Verkehrsanbindung der benachteiligten Viertel soll besser werden. Schon im Februar hatte der Innenminister mehr als 300 zusätzliche Polizisten für die Hafenstadt angekündigt, was der Marseiller Bürgermeister als viel zu wenig kritisierte.
"Der Staat lässt uns im Stich", klagt ein Graffitti im Marseiller Viertel "Les Marroniers" an.
Kaum einer glaubt an Veränderung
Journalist Monnier glaubt, dass zur Lösung des Problems ein wichtiger Schritt sei, die Polizeipräsenz in den Vierteln zu verstärken. "Sie müssen Kriminelle aber auch wirklich festsetzen", sagt er. Einfach nur mehr Polizei, bringe nichts. Marseille braucht laut Monnier aber keine kurzfristigen Lösungen, sondern einen langfristigen Plan, um den öffentlichen Verkehr, Schulen und Wohnraum zu verbessern. "Die Marseiller glauben nur nicht daran, dass sich etwas verändert. Die Stadt ist bekannt für ihre korrupten und niemals fertigwerdenden Projekte."
Der französische Justizminister hat nun angekündigt, das Gerichtspersonal in Marseille aufzustocken. Damit soll zumindest gewährleistet werden, dass Kriminelle auch wirklich verurteilt werden können. Auch hier lag in der Stadt einiges im Argen. In Marseille ist noch viel zu tun.