Auschwitz-Gedenktag Nur ein paar Hundert überlebten
Etwa 200.000 Kinder kamen in Auschwitz-Birkenau ums Leben. Nur wenige haben das Grauen überlebt. Einige berichten am Gedenktag zur Befreiung des KZs aus dieser Zeit und appellieren an die Nachgeborenen.
Die Warschauerin Zdzislawa Wlodarczyk wurde 1944 kurz vor ihrem elften Geburtstag nach Auschwitz deportiert. Sie blieb dort bis zur Befreiung des Lagers, untergebracht in der "Kinderbaracke".
"Die Nächte waren am schlimmsten", erzählt Wlodarczyk. "Die Kinder weinten im Schlaf, riefen im Traum nach ihrer Mama, wimmerten und stöhnten. Aber im Laufe der Zeit verstummten die Geräusche, weil sie wussten, dass niemand kommen und ihnen die Hand auf den Kopf legen, sie streicheln oder umarmen würde. Sie sind allein gestorben. Warum?"
200.000 Kinder starben in Auschwitz
Das berichtet die heute 87-Jährige auf der virtuellen Gedenkfeier zum 76. Jahrestag der Befreiung des KZs Auschwitz-Birkenau, des größten im Netz deutscher Todeslager. Etwa 200.000 Kinder starben allein hier - nur ein paar Hundert überlebten, und können daher bis heute berichten, wenn auch wegen der Corona-Pandemie nur per Online-Übertragung.
Wlodarczyk erinnert sich: "Soldaten kamen, ein großer Offizier, mit so einer Mütze. Ich erinnere mich an seine Worte. Ich weiß nicht, ob er es auf Polnisch oder Russisch sagte, aber doch verständlich: "Kinder, was macht ihr denn hier?" Das war seine Frage."
Gedenken ist den Kindern gewidmet
Das jährliche Gedenken in Auschwitz, das dieses Jahr unter besonderen Bedingungen stattfand, sollte den Kindern im Lager gewidmet sein: Die meisten Überlebenden, die heute noch erzählen können, waren damals welche. Piotr Cywinski, langjähriger Direktor des staatlichen Museums, versuchte einen Überblick: "Kleine jüdische Kinder und Roma-Kinder, polnische Kinder aus der Region Zamosc, weißrussische aus Grodno. Kinder aus dem aufständischen Warschau. Kinder wurden auch im Lager geboren, aber statt auf die Welt zu kommen, haben sie ihr eigenes Leben verpasst."
Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda ging in seiner Online-Rede auf die außergewöhnlichen Umstände des diesjährigen Gedenkens ein: "Es ist aber auch ein wichtiges Zeichen, dass wir immer unabhängig der Umstände unsere Pflicht erfüllen müssen, Zeugen der Erinnerung und Wächter der Wahrheit über den Holocaust zu sein. Wir leben in einer Zeit, in der die virtuelle und reale Welt koexistieren und manchmal die eine die andere zu ersetzen versucht." In Auschwitz sei aber real gestorben worden, erinnerte das polnische Staatsoberhaupt.
Mahnung, wachsam zu sein
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte zuvor in einem Internet-Eintrag vermerkt, das Gedenken an die Opfer des von den Deutschen auf polnischem Boden errichteten Lagers sei Teil der polnischen Identität geworden. Beim Online-Gedenken in Auschwitz wurde aber auch eine Mahnung laut, die zuletzt von KZ-Überlebenden immer eindringlicher ausgesprochen worden war: Wachsam zu sein gegenüber heutigen Entwicklungen, jenen ähnlich, die damals zu Auschwitz geführt hätten.
Dafür trat die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch ein - sie war als 18-Jährige nach Auschwitz gekommen und überlebte als Mitglied des Lager-Orchesters: "Als meine Schwester und ich es schließlich nach England schafften, waren wir naiv genug zu glauben, dass wir der Welt erzählen würden, was passiert war, und dass dies das Ende der sinnlosen Morde, von Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus sein würde," erzählt sie. "Wir haben uns geirrt. Niemand hat uns etwas gefragt. Und jetzt erleben wir sogar Versuche, das, was an Orten wie Auschwitz und vielen anderen passiert ist, zu schänden."
"Lasst uns nicht allein", appellierte sie an die Nachgeborenen. Und rief dazu auf, dafür zu kämpfen, dass sich die Geschichte niemals wiederholt.