Arbeitskampf im Gesundheitsdienst Historischer Streik beim britischen NHS
Verzögerte OPs, weniger Rettungswagen: Der britische Gesundheitsdienst NHS wird so stark bestreikt wie noch nie zuvor. Kritik kommt von Seiten der Regierung, die Verhandlungen laufen zäh.
Mit dem bisher größten Streik in der Geschichte des britischen Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS) demonstrieren die Pflegekräfte des Vereinigten Königreichs für bessere Gehälter und faire Arbeitsbedingungen. Noch bis zum Dienstag legen Zehntausende Beschäftigte ihre Arbeit nieder. Auch die Rettungskräfte verweigern erstmals im selben Zeitraum ihren Dienst. Kritik kommt vonseiten der Regierung, eine Grundversorgung ist nach Angaben der Gewerkschaften aber sichergestellt.
Gewerkschaft fordert mehr als zehn Prozent
Bei dem Streik geht es um viel Geld: Die Berufsvereinigung Royal College of Nursing (RCN) fordert eine Lohnerhöhung, die deutlich über der Inflation von zuletzt gut zehn Prozent liegt. Die Regierung weigert sich aber seit Beginn des Streiks, sich mit der RCN an einen Tisch zu setzen. Eine starke Anhebung der Löhne treibe die Verbraucherpreise zu sehr in die Höhe und sei deshalb nicht tragbar, heißt es.
Kritik gibt es auch am Zeitpunkt des Streiks: Gesundheitsminister Steve Barclay verwies auf Millionen Menschen, deren Routineeingriffe jetzt auf der Strecke blieben. Auch Notfallbehandlungen würden aufgrund des Streiks deutlich länger dauern als vorgesehen. Zudem befände sich das Gesundheitswesen gerade noch im Prozess der Erholung von der Corona-Pandemie, der Arbeitsausstand schade damit den Patientinnen und Patienten.
Krankenschwester und Generalsekretärin des RCN, Pat Cullen, adressierte Premier Rishi Sunak in einem persönlichen Brief: "Bitte kümmern Sie sich um diese Sackgasse. Ich habe deutlich gemacht, dass die Aufnahme von Verhandlungen und das Unterbreiten sinnvoller Angebote Streiks abwenden können."
Die Gewerkschaft RCN zeigt sich für Verhandlungen mit der Regierung bereit, beharrt aber auf den hohen Forderungen.
Wales wendet Streik durch Einigung ab
Die koordinierte Arbeitsniederlegung findet in einem bisher ungekannten Ausmaß statt. Gleich 73 der rund 220 NHS-Trusts verweigern ihren Dienst, verglichen mit 55 im Januar und 44 im Dezember vergangenen Jahres. Ein Trust beschreibt eine Organisationseinheit des NHS und ist entweder für die Versorgung eines bestimmten geographischen Bereichs oder eine medizinische Fachrichtung zuständig.
In Wales war der NHS-Streik kurzfristig abgesagt worden, nachdem die Regionalregierung ihr Angebot nachgebessert hatte. Gesundheit ist im Vereinigten Königreich Sache der Regionalregierungen. Für den größten Landesteil England, der kein eigenes Parlament hat, entscheidet die Zentralregierung von Premierminister Rishi Sunak.
Die Regierung will derweil mit einem umstrittenen Gesetz das Streikrecht für mehrere Berufsgruppen massiv einschränken und damit im Streikfall eine Grundversorgung etwa bei Rettungsdiensten sicherstellen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, die Regierung biete eine Lohnerhöhung von 4,75 Prozent an. Das ist nicht der Fall. Wir haben den Beitrag entsprechend korrigiert.