Europäischer Gerichtshof "KlimaSeniorinnen" verklagen die Schweiz
In der Schweiz ist ein Gruppe älterer Frauen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Der Vorwurf: Die Regierung ihres Landes tue zu wenig gegen den Klimawandel - und für ihren Schutz.
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass die Baselerin Rosmarie Wydler-Wälti vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen ist - zusammen mit rund 2000 Mitstreiterinnen. Die "KlimaSeniorinnen", wie sie sich nennen, klagen gegen die Schweiz.
Wydler-Wälti sagt: "Das Problem ist unsere Regierung, die viel zu wenig macht, also ihre Aufgabe nicht erledigt, denn sie sollte sich für unseren gesundheitlichen Schutz einsetzen und besonders für uns als besonders betroffene Bevölkerungsgruppe der älteren Frauen. Weil bei uns eine Übersterblichkeit in Hitzewellen besteht."
Bislang wurden Klagen abgewiesen
Und durch den Klimawandel kommt es immer häufiger zu Hitzewellen. Deshalb die Klage der Frauen gegen ihr Land, das nicht genug unternehme für den Klimaschutz und also den Schutz der Frauen.
In der Schweiz wurde die Klimaklage der Frauen von sämtlichen Instanzen abgewiesen. Dazu sagt Wydler-Wälti: "Das schrecklichste Argument, dass das Bundesgericht geschrieben hat: Wir hätten noch Zeit, das sei ja noch nicht erwiesen, dass es sich über 1,5 Grad erwärmen werde, und da hätten wir immer noch Zeit zu klagen.“
Menschenrechte durch Klimaschutzpolitik verletzt?
Der Europäische Menschengerichtshof (EGMR) muss nun klären, ob die Menschenrechte der Frauen durch mangelhafte Klimaschutzpolitik verletzt werden. Anders als beim Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts - das die Bundesregierung zum Nachbessern des Klimaschutzgesetzes zwang - geht es also nicht primär um die Verantwortung für künftige Generationen, sondern - auch wenn die Klimakrise natürlich alle betrifft - um das Leben und die Rechte älterer Frauen hier und jetzt.
Die 71-jährige Rosmarie Wydler-Wälti will erreichen, dass die Schweizer Regierung mehr für den Schutz älterer Menschen tut.
"Aktuelle und besondere Betroffenheit"
"Und das ist wichtig", erklärt Cordelia Bähr, die Züricher Anwältin der "KlimaSeniorinnen". "Für den Zugang zu einem Gericht in der Schweiz muss man nachweisen, dass man eine aktuelle und besondere Betroffenheit hat. Zudem ist es auch wichtig, um eine Menschenrechtsverletzung geltend zu machen, weil eine solche nur gegenüber Personen vorliegen kann, die tatsächlich in ihrem Leben bedroht sind."
Gewichtige Unterstützerin
Die Schweizer "KlimaSeniorinnen" haben eine gewichtige Unterstützerin. Michelle Bachelet, die Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, hat in Straßburg eine Stellungnahme eingereicht. Der Fall sei die Gelegenheit zu berücksichtigen, dass "die drastischen Auswirkungen des Klimawandels justiziabel sein müssen".
Im September verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat eine Resolution, die das Leben in einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt als Menschenrecht anerkennt.
Auch Claudia Mahler, unabhängige Expertin für die Rechte älterer Menschen beim UN-Menschenrechtsrat, hat sich zum Fall der Seniorinnen in Straßburg geäußert: "Weil die Rechte Älterer immer übergangen werden - und speziell auch im Bereich des Klimawandels. Wenn wir Diskussionen zum Thema Klimawandel haben, ist ganz klar, jeder denkt an die Zukunft, aber die Älteren sind schon da."
Die Richter in Straßburg haben die Beschwerde der "KlimaSeniorinnen" als dringlich eingeordnet. Jetzt aber ist der Ball erst einmal wieder bei der Schweizer Regierung, die bis zum 19. November Zeit hat, auf die Beiträge aus dem UN-Menschenrechtsrat zu reagieren. Öffentlich wolle man sich zu dem laufenden Verfahren derzeit nicht äußern, teilte das Bundesamt für Justiz auf Anfrage mit.
Urteil könnte weitreichende Folgen haben
Sollte der Europäische Menschengerichtshof im Sinne der "KlimaSeniorinnen" entscheiden, hätte das weitreichende Auswirkungen - nicht nur für die Schweiz, sondern für alle 47 Mitgliedsstaaten des Europarates, die die Menschenrechtskonvention ratifiziert haben.
Wydler-Wälti hofft auf Erfolg
Es wäre ein Präzedenzfall - mit Bedeutung für die weltweiten Bemühungen um mehr Klimaschutz. Und es wäre natürlich ein Riesenerfolg für die 71-jährige Wydler-Wälti: "Wir älteren Frauen sind, glaube ich, auf der Welt die einzigen spezifisch Alten, die es in die Hand genommen haben und diesen juristischen Weg beschreiten. Wir Frauen wollen und hoffen und können es richten."