Parlamentswahl in den Niederlanden Wer folgt auf Premier Rutte?
In den Niederlanden hat die Parlamentswahl begonnen. Wer folgt auf den scheidenden Premier Rutte? Es wird mit komplizierten Mehrheitsverhältnissen gerechnet - auch eine Minderheitsregierung ist nicht ausgeschlossen.
Dass die Niederländer nach Feierabend wählen, ist ganz normal. Seit 1918 wird unter der Woche gewählt. Die Niederlande sind protestantisch geprägt, hier gilt der Sonntag als besonderer Tag der Ruhe abseits der Politik. Vor allem die kleineren Parteien haben sich seit jeher für den Wahltag unter der Woche stark gemacht - vor allem jene, die kirchlich geprägt sind wie die Christen Union CU und die Reformierte Politische Partei SGP.
Für Sitz im Parlament genügen 0,67 Prozent
In den Niederlanden existiert keine Fünf-Prozent-Klausel. Für einen Sitz im Parlament genügen 0,67 Prozent der Stimmen. Auch wenn der Mittwoch ein Arbeitstag ist - wie bei den letzten Wahlen ist die Wahlbeteiligung auch dieses Mal relativ hoch und dürfte nach offiziellen Angaben weit mehr als 70 Prozent betragen.
Am Dienstagabend konnten die neun größten Parteien in einer Talkrunde im niederländischen Fernsehen noch einmal für ihre Politik werben. Die wichtigsten Themen: Einwanderung, Klimawandel und die verbreitete Wohnungsnot. Das letzte Thema drängte zuletzt die Migration in den Hintergrund.
Massenhaft Wohnungen fehlen
Die Regierung unter Mark Rutte hatte in den letzten Jahren die öffentliche Förderung des Wohnungsbaus eingeschränkt. Der Markt sollte für eine ausreichende Zahl an Wohnungen sorgen. Doch inzwischen fehlen massenhaft Wohnungen überall im Land. Bis zu zehn Jahre müssen Niederländer auf eine Sozialwohnung warten, rechnen die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und fordern ein staatliches Neubauprogramm.
Zwar beträgt die Höchstmiete hier nur rund 900 Euro, doch kaum jemand kommt an eine Wohnung. Vor allem Alleinerziehende sind betroffen. Die Zahl der Obdachlosen ist innerhalb kurzer Zeit stark gestiegen. Und wer ein Einfamilienhaus kaufen will, findet nach Angaben der Maklerverbände im ganzen Land so gut wie keines unter 400.000 Euro.
Ex-Christdemokrat Omtzigt könnte bald mitregieren
Das Wohnungsthema hat im Wahlkampf einer neuen Partei in die Hände gespielt, die genau hier Besserung verspricht. Der 49-jährige ehemalige Christdemokrat Pieter Omtzigt hatte sich als Aufklärer diverser Skandale in der Regierung von Rutte profiliert, und verspricht eine "neue politische Kultur" - und mehr Wohnraum.
Die Klimapolitik des Landes und der EU wiederum geißelt er als Elite-Projekt, das nur für Wohlhabende bezahlbar sei. Seine Partei NSC rückte in den Vorwahlumfragen steil nach oben, belegte vor einigen Wochen sogar den ersten Platz - rutschte dann aber wieder ab. Dass er bald mitregieren könnte, ist nicht unwahrscheinlich.
Die Niederlande sind ein Koalitionsland. Bündnisse von mindestens vier Parteien sind üblich. Inzwischen sieht es nach einem Rechts-Ruck aus.
Zusammenarbeit der Liberalen mit Rechtspopulisten?
Die liberale Spitzenkandidatin der bisherigen Regierungspartei VVD, Dilan Yesilgöz, hatte sich als machtbewusste Taktikerin positioniert - und eine Zusammenarbeit mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders bewusst nicht ausgeschlossen. Die bisherige Justizministerin mit kurdischen Wurzeln möchte auf jeden Fall in Führung gehen.
Wilders wiederum ist seit 25 Jahren im Parlament. Die erste Regierung von Rutte musste sich auf die Duldung seiner Partei PVV stützen, entledigte sich aber den damals noch unberechenbaren Wilders-Leuten schnell. Heute gibt sich Wilders als "Geert Milders" - wie es in der Presse heißt - entgegenkommend in Richtung VVD. Zwar forderte er eine rigide Antimigrationspolitik, verzichtet aber auf schrille Töne.
Er umwirbt Yesilgöz, die als Kind kurdischer Eltern in die Niederlande gekommen war. Damit liegt er fast schon auf dem Kurs der VVD-Kandidatin, die trotz ihrer Herkunft eine deutlich restriktivere Asylpolitik durchsetzen will und ihre liberale Partei weiter nach rechts ausgerichtet hat.
Timmermans kämpft um linke Mehrheit
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kämpft der ehemalige EU-Kommissar Frans Timmermans für seine Liste aus Sozialdemokraten und Grünen um eine linke Mehrheit. Auch er rechnet sich gute Chancen aus, künftiger Regierungschef zu werden. Allerdings ist sein Leitthema im Wahlkampf, die Klimapolitik, in den Hintergrund geraten. Die Migration spielte die Hauptrolle. Das Problem der Wohnungsnot hatte wiederum der Ex-Christdemokrat Omtzigt geschickt besetzt, um Familien für sich zu gewinnen.
Timmermans dürfte es nach Ansicht von Politikexperten schwerer haben, Koalitionen zu finden, als andere Parteien. Ohne Koalitionen wird es nicht gehen. Und so wird auch nicht so schnell abzuschätzen sein, wer die Niederlande in Zukunft regiert. Vieles dürfte davon abhängen, welches Gewicht der Rechtspopulist Wilders in die Waagschale legen kann.
Mögliche Minderheitsregierung - geduldet von Omtzigt
Inzwischen wird auch über eine mögliche Minderheitsregierung der bisherigen Regierungspartei VVD diskutiert, geduldet vom Newcomer Omtzigt. In einem TV-Interview bekannte er, "keine Lust" auf komplizierte Koalitionsverhandlungen zu haben, die nichts brächten. Die Niederlande müssten lernen, dass man auch mit wechselnden Regierungen regieren kann. Und hier könnte dann auch wieder Wilders mitmischen - wie schon vor vielen Jahren mit der Regierung Rutte.
Was der langjährige Ministerpräsident in Zukunft macht, ist offen. Zuletzt brachte er sich für einen internationalen Posten ins Spiel. Im nächsten Jahr wird Jens Stoltenbergs Stuhl als Generalsekretär der NATO frei.