Skandinavien-Reise Schweres Gepäck für Pistorius
Eigentlich sollte es bei Pistorius' Skandinavien-Reise vor allem um die NATO-Erweiterung gehen. Aber jetzt werden die Besuche in Finnland, Schweden und Norwegen von der russischen Abhöraktion überschattet.
Verteidigungsminister Boris Pistorius reist mit schwerem politischem Gepäck. Die Debatte um die russische Abhöraktion wird ihn auf seiner Skandinavien-Reise begleiten. Pistorius spricht von einem "Informationskrieg", den Russlands Präsident Wladimir Putin führe.
Ausgerechnet ein Gespräch von Luftwaffenchef Ingo Gerhartz mit anderen Offizieren über den Marschflugkörper "Taurus" hat Russland mitgeschnitten und kurz vor dem Wochenende veröffentlicht. Für Pistorius ist klar, was Russland mit der Veröffentlichung des vertraulichen Gesprächs bezweckt: "Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation. Es geht um Spaltung."
Die Veröffentlichung kommt zur Unzeit. Kanzler Olaf Scholz hat sich immer wieder zurückhaltend zu "Taurus"-Lieferungen an die Ukraine geäußert, was letztlich auf ein Nein hinauslief. Erst gestern bekräftigte Scholz: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das." Das allerdings findet auch in eigenen Ampel-Reihen Kritiker. Ebenfalls gestern erklärte etwa Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), man müsse alle Mittel für die Ukraine "genauestens prüfen".
Neue Erkenntnisse zur Abhöraffäre
Noch kurz vor Aufbruch Richtung Stockholm hat Pistorius ins Verteidigungsministerium gebeten. Dafür wurde der Abflug kurzfristig um etwa anderthalb Stunden verschoben. Der Verteidigungsminister will am Vormittag neue Erkenntnisse zu der Abhöraffäre präsentieren. Er hat den Militärischen Abschirmdienstes mit Untersuchungen beauftragt. Der soll herausfinden, ob die Bundeswehr-Offiziere für ihre Taurus-Gedankenspiele die richtige Kommunikations-Plattform genutzt haben - oder ob sie eine besser abgeschirmte Technik hätten nutzen müssen.
Henning Otte ist stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Der CDU-Politiker wird den Minister auf der Reise von Schweden über Norwegen nach Finnland begleiten. Für Otte ist die Reise "ein klares Zeichen der Solidarität an unsere nunmehr drei skandinavischen NATO-Partner". Norwegen ist seit 1949 Mitglied der NATO, gehört zu den Gründungsmitgliedern des Verteidigungsbündnisses. Schweden wird in Kürze das jüngste und damit 32. Mitglied sein, Finnland ist erst seit vergangenem Jahr dabei.
Ostsee wird zum NATO-Meer
Otte bewertet die Reise im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio auch als ein Zeichen der Stärke - trotz der Abhöraffäre. Klar sei, dass Russland mit Spionage und Sabotage versuche, Krisen zu provozieren. Umso wichtiger sei es, dass diese drei skandinavischen Länder in der NATO ihren Beitrag für Abschreckung leisten. "Eine wesentliche Stärkung auch für Deutschland durch die Absicherung des Ostsee-Raumes ist damit erfüllt", sagt Otte.
Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russlands Präsident Putin statt weniger mehr NATO bekommen, wie es Generalsekretär Jens Stoltenberg einmal beschrieb. Die Ostsee wird zu einem NATO-Meer. Mit Ausnahme Russlands gehören bald alle Anrainerstaaten dem Verteidigungsbündnis an.
Schweden als starkes NATO-Mitglied
Erster Reisestopp für Pistorius ist Schweden. Nach der Türkei hat zuletzt auch Ungarn den Weg des Landes in die NATO nicht mehr versperrt. Vor gut zwei Wochen hatte Pistorius bei einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel den Beitritt Schwedens als überfällig bezeichnet. Schweden werde ein schlagkräftiger Partner sein. Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine hat das Land seine jahrhundertelange Neutralität aufgegeben.
Schweden bringt einiges in die NATO ein: eine starke Luftwaffe und eine hochgerüstete Marine mit U- und Patrouillenbooten. Zudem erhalten alle Schwedinnen und Schweden zum 18. Geburtstag Post wegen der allgemeinen Musterung im Land. Das findet wegen des Personalmangels bei der Bundeswehr auch Verteidigungsminister Pistorius interessant. Allerdings würde dieses Modell in Deutschland eine Grundgesetzänderung voraussetzen.
Einsatzbereitschaft am Polarkreis
Finnland ist bereits im vergangenen Jahr unter den NATO-Schutzschirm der gemeinsamen Bündnisverteidigung gekommen. Bundeskanzler Scholz begrüßte das zuletzt als Gewinn für alle Partner, die Allianz sei damit stärker geworden.
In Finnland besucht Pistorius das Manöver "Nordic Response", an dem sich auch deutsche Gebirgsjäger beteiligen, selbst Rentiere wurden für die Großübung umgesiedelt. Am Polarkreis im hohen Norden will die NATO ihre Einsatzbereitschaft beweisen. Das gelte erst recht in Zeiten von russischen Abhörattacken, findet CDU-Politiker Otte. "Es geht darum, dass die Ostflanke gestärkt wird, dass das abschreckende Moment gegenüber einem Aggressor und damit auch gegenüber russischen Aktivitäten noch einmal deutlich sichtbar wird."
Dreimal Skandinavien, dreimal NATO: es ist auch ein Zeichen der Stärke in einem Moment der Schwäche.