EU-Kommission zu Taxonomie Politische Entscheidung für Atom und Gas
Die EU-Kommission stellt heute ihre Liste von Energieformen vor, die sie als nachhaltig einstuft. Dass Erdgas und Atomstrom dann als "grüne Investition" gelten, stört nicht nur Aktivisten und Wissenschaftler.
So richtig glücklich ist mit dem, was die EU-Kommission heute bei der sogenannten Taxonomie und dem, was in den nächsten Jahren als grüne Energie gelten soll, vorschlagen will, in Brüssel kaum jemand. Im Gegenteil: "Was das Ziel war, nämlich Greenwashing zu vermeiden, ist jetzt selbst zum Greenwashing geworden", sagt beispielsweise Thomas Jorberg, Vorstandschef der ökologischen GLS Bank.
"Abenteuerlich" sei die Einstufung bestimmter Energieprodukte als nachhaltig, obwohl deren Förderung hohe CO2-Emissionen hervorrufe und die Entsorgung ihrer Abfälle nicht geklärt sei, meint Markus Ferber von der EVP-Fraktion im Europaparlament. "Ich glaube, dass das letztendlich der Glaubwürdigkeit des Green Deals in der Öffentlichkeit schadet", sagt der Wirtschaftswissenschafter Guntram Wolff vom Brüsseler Bruegel-Institut. Und die französische Umweltaktivistin Chloe Nikolajtschak fordert, die EU-Kommission daran zu erinnern, dass weder Atomstrom noch Erdgas grüne Energien seien.
Effekt in fünf bis zehn Jahren sichtbar
Einem kommen die Pläne bei aller Kritik sehr entgegen: nämlich dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Bei vielen Gelegenheiten gibt er den Bau von Atomkraftwerken in Frankreich zugleich mit Investitionen in erneuerbare Energien als Ziel aus - jetzt im französischen Präsidentschaftswahlkampf ganz besonders. Macron brauche die Atomenergie, die in Frankreich eine lange Tradition hat und dort nach wie vor der wichtigste Stromlieferant ist, um die Wahl zu gewinnen - so sehen es viele in Brüssel.
Und die Kommission springt ihm mit ihrem Taxonomie-Vorschlag zur Seite. Greenwashing hin oder her - man wolle eben nicht riskieren, dass am Ende doch eine populistische Marine Le Pen in Paris die Macht übernehme, heißt es.
Um Deutschland, den anderen großen EU-Staat, dabei nicht leer ausgehen zu lassen, soll eben auch Erdgas erst einmal den grünen Stempel für Kapitalanleger bekommen. Denn darauf hatte die Bundesregierung gedrängt. Natürlich alles nur für einen Übergangszeitraum, bis genug alternative Energieträger da seien, betont die Kommission.
Ein Argument, das aber der Grundlage entbehre, kritisiert Wirtschaftswissenschaftler Guntram Wolff: "Denn das, was jetzt in der Taxonomie begünstigt wird, wird ja keine Übergangstechnologie sein, sondern zu Investitionen führen, die erst in fünf bis zehn Jahren Effekte zeigen." Die Taxonomie stelle also die Weichen dafür, wie der Energiebedarf der EU-Staaten in 20 bis 30 Jahren gedeckt wird.
Unmut brodelt im Europaparlament
Mit ihrer Taxonomie könnte die EU-Kommission also die Weichen für die Energiewende und für den europäischen Green-Deal grundsätzlich falsch stellen. In der Tat ist sie mit ihrer Entscheidung wissenschaftlichen Empfehlungen eigener Expertengremien nicht gefolgt, die davor gewarnt hatten, Kernenergie und Erdgas als klimaneutrale Energieträger zu bewerten - wegen der ungelösten Atommüll-Entsorgung beim einen und wegen der CO2-Emissionen beim anderen.
Die Brüsseler Entscheidung also, welche Energie grün ist und welche nicht: eine politische Entscheidung, in diesem Fall zugunsten von Frankreich und Deutschland. Einige andere Mitgliedsländer signalisieren zwar Unmut darüber, allerdings zeichnet sich unter den 27 keine Mehrheit dafür ab, die Pläne zu stoppen.
Nur im Europaparlament brodelt wachsende Wut über die Kommission und ihre Taxonomie - und zwar in fast allen Fraktionen. Nicht ausgeschlossen deshalb, dass das Ganze doch noch scheitert: am Widerstand der Europa-Abgeordneten.