Forderung nach Importstopp EU streitet über russisches Uran
Aus Russland darf kein Gas, kein Öl, keine Kohle mehr eingeführt werden. Uran allerdings schon. Ohne russisches Uran könnten viele Atomkraftwerke in der EU nicht weiterbetrieben werden.
Die Liste der Sanktionen gegen Russland ist lang, sie reicht von Kohle und Öl bis zum Kaviar. Insgesamt 1242 einzelne Strafmaßnahmen hat die EU seit Kriegsbeginn bis Anfang April verhängt. Privatvermögen von Oligarchen wurden eingefroren, ebenso der mehrere hundert Milliarden Euro schwere Devisen-Besitz der russischen Staatsbank. In zehn Sanktionspaketen schnürten die Europäer zusammen, was Russlands Wirtschaft schaden könnte.
Auffallend ist, was bisher noch auf keiner Sanktionsliste stand: Uran. Russlands Atomindustrie kann nach wie vor Geschäfte mit den Europäern machen, lukrative Geschäfte, die wertvolle Devisen in die Kassen des Kreml bringen. Und das liegt an den Europäern selbst. Mehrere Mitgliedsländer wollen für ihre Atomkraftwerke auch im Krieg russisches Uran kaufen, russische Brennelemente und russische Kernkrafttechnik.
"Feierabend" in einem Dreivierteljahr?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will das ändern. "Die Ukrainer wünschen sich, dass Uran sanktioniert wird aus Russland", erklärte Habeck Anfang April nach seinem Besuch in Kiew in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Er finde das richtig, der russische Staat verdiene viel Geld mit dem Uran-Geschäft. Einen sofortigen Importstopp hält Habeck zwar nicht für möglich, "das konnten wir ja bei Öl und Kohle auch nicht sofort machen". Aber man könne eine Übergangsfrist einräumen, in einem halben Jahr die Menge reduzieren "und in einem dreiviertel Jahr ist dann Feierabend".
Bundesregierung für Uran-Importstopp
Inzwischen hat die Bundesregierung sich offiziell dafür ausgesprochen, dass die Brüsseler EU-Kommission Geschäfte mit Russlands Atomindustrie in das nächste, das elfte Sanktionspaket aufnimmt. Die Begründung: Man habe gesehen, wie Russland gezielt Abhängigkeiten im Energiebereich als Druckmittel einsetzt.
Der Vorschlag müsste dann von den Botschaftern der 27 Mitgliedsländern diskutiert werden. Klar ist, eine harmonische Veranstaltung wird das nicht. Fünf EU-Länder betreiben Atomkraftwerke mit russischen Reaktortypen. Ungarn und Bulgarien, Tschechien und die Slowakei, aber auch Finnland – sie alle sind heute auf die Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom angewiesen.
Experten sehen Ausweichmöglichkeiten
Nach Einschätzung von Mycle Schneider, Energie- und Atompolitikanalyst in Paris, ist das Uran dabei noch das geringere Problem. 20 Prozent des Natur-Urans habe die EU 2021 zwar aus Russland bekommen, dazu weitere 24 Prozent aus den von Russland beeinflussten Ländern Kasachstan und Usbekistan. Aber Schneider sieht darin keine Abhängigkeit der Europäer, er verweist auf Ausweichmöglichkeiten auf Länder wie Kanada, Australien oder Südafrika, die ebenfalls Uran liefern könnten, wenn auch zu einem höheren Preis. Auch beim angereicherten Uran, so der Atompolitikexperte, halte Russland mit einem Drittel der weltweiten Kapazitäten zwar einen großen Anteil, aber auch dazu gebe es westliche Alternativen.
"Erhebliche Abhängigkeit von Russland"
Eine echte Abhängigkeit von Russland sieht Schneider dagegen bei den Brennelementen. In den fünf osteuropäischen Ländern mit Atomkraftwerken sowjetischer Bauart gibt es 15 AKW, für die "Russland der einzige Hersteller von Brennelementen ist". Und das bedeute "zweifelsfrei eine erhebliche Abhängigkeit von Russland".
Der Atompolitik-Experte sieht Widerstand gegen die deutschen Sanktionspläne aber nicht nur in Osteuropa. "Frankreich hat viele Gründe, gegen Sanktionen gegen Russland zu sein". Noch im Dezember 2021 habe Framatome, eine Filiale der französischen EDF, dem größten Atomkraftwerksbetreiber weltweit, ein langfristiges strategisches Abkommen mit dem russischen Staatskonzern Rosatom unterzeichnet. Etwas später, Anfang 2022, habe Präsident Macron Rosatom dann eine 20-prozentige Beteiligung bei der Firma angeboten, die in Frankreich Spezialturbinen für Atomkraftwerke herstellt. Enge Geschäftskontakte also - wenn sie auf die Sanktionsliste kämen, hätte das zur Folge, "dass Frankreich praktisch der einzige Markt wegbrechen würde, um seine Turbinen an den Mann zu bringen".
Französische Spitzen gegen Deutschland
Tatsächlich gibt es bisher keine Anzeichen, dass Frankreich auf die Atom-Geschäfte mit Russland verzichten will. Auf Kritik aus Berlin reagiert man empfindlich - die Atomenergie leiste einen wichtigen Beitrag gegen die Erderwärmung, heißt es aus Paris, weil sie weitgehend CO2-neutral sei. Nicht selten bekommen deutsche Kritiker von französischen Diplomaten auch einen spitzen Hinweis darauf, dass Deutschland immer noch ein Drittel seines Stroms mit dreckiger, CO2-intensiver Kohle erzeuge.