Streitigkeiten im Südchinesischen Meer Chinas Fischer fürs Grobe
Sie sehen aus wie normale Fischer, aber einige chinesische Kutter im Südchinesischen Meer sind im militärischen Auftrag unterwegs. Die Führung in Peking vertraut bei den Gebietsstreitigkeiten auf Fischereimilizen - dies musste nicht nur die US-Marine erfahren.
Moderne Lenkwaffenkreuzer, eigenständig entwickelte Flugzeugträger, U-Boote mit Nuklearantrieb - dies ist eine Seite der maritimen Aufrüstung Chinas, die in den USA und vielen asiatischen Staaten mit Sorge und Aufmerksamkeit verfolgt wird. Weitgehend unbeachtet sind bisher hingegen Fischereimilizen geblieben. Dabei spielen diese irregulären Verbände vor allem im international umstrittenen Südchinesischen Meer eine bedeutende Rolle. Dort setzen sie chinesische Interessen mit teils rabiaten Methoden durch.
Diese maritimen Milizen werden in Küstenorten unter Fischern rekrutiert, teilweise dienen aber auch ehemalige Marineangehörige dort. Genaue Zahlen über die Anzahl und Größe dieser Milizen sind nicht bekannt - vor allem, weil die Behörden dazu keine offiziellen Angaben machen.
China liegt mit mehreren Staaten im Streit über Souveränitätsansprüche auf Inseln im Süd- und Ostchinesischen Meer. Ein Überblick.
Diaoyu-Inseln: Die unbewohnten, in Japan Senkaku genannten Inseln liegen 200 Kilometer nordöstlich von Taiwan im Ostchinesischen Meer. Angesichts großer Fischbestände und vermuteter Gas- und Ölvorkommen sind sie von strategischer Bedeutung. Da China alte Ansprüche an das von Japan verwaltete Territorium geltend macht, kommt es immer wieder zum Konflikt, in dem beide Seiten auch Kriegsschiffe in die Region entsenden.
Paracel-Inseln: Nach der Entdeckung von Ölvorkommen in diesem Gebiet im Südchinesischen Meer schuf China vollendete Tatsachen und besetzte den südöstlich der Insel Hainan gelegenen Archipel. Vietnamesen wurden von den etwa 130 Koralleninseln vertrieben.
Spratly-Inseln: Der Archipel im Südchinesischen Meer ist vor allem zwischen China und Vietnam sowie den Philippinen umstritten. Auch Taiwan, Malaysia und Brunei beanspruchen zumindest Teile der 200 Inseln und Atolle 1000 Kilometer vor Chinas Küste. Dort werden große Öl- und Erdgasvorkommen vermutet.
Fischerei untermauert die Gebietsansprüche
Der größte politische Vorteil der Fischereimilizen ist der zivile Anschein. Sie seien weniger konfrontativ im Auftreten, könnten aber ebenso wirksam wie die Küstenwache zum Schutz chinesischer maritimer Interessen beitragen, sagte der Analyst der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Michael Paul, zu tagesschau.de. Zudem untermauerten "normale Tätigkeiten" wie die Fischerei am besten Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer.
Paul rechnet deshalb damit, dass in den kommenden Jahren mittels einer "Salamitaktik" Fischereirechte gegen andere Staaten durchgesetzt werden - auch gegen bisher an Streitigkeiten unbeteiligte Nationen wie zum Beispiel Indonesien. Und dafür seien die teils militärisch ausgebildeten Fischereimilizen "hervorragend geeignet".
Uniformen? Nur ein Schutz gegen die Sonne
Die seit einigen Jahren zunehmende Bedeutung der Fischereimilizen verdeutlicht auch ein Besuch von Staats- und Parteichef Xi Jinping im kleinen Küstenort Tanmen auf der Insel Hainan im April 2013. Dort ist eine der aktivsten maritimen Milizen des Landes beheimatet, die mehrfach erfolgreich bei Streitigkeiten im Südchinesischen Meer eingesetzt wurde.
Darüber redet man in Tanmen aber offenbar nicht so gerne - zumindest nicht mit ausländischen Journalisten. Nachdem ein Team von Al Dschasira am Hafen der kleinen Stadt Uniformierte beim Training beobachtet hatte, wurde unter anderem erklärt, dass diese zu einer Filmcrew gehörten. Der Fischer Wang Shumao behauptete gar, dass die Fischer die Uniformen lediglich als Schutz vor der Sonne tragen würden. Zu maritimen Milizen wusste er nichts zu sagen. Später fand Al Dschasira heraus, dass Wang der stellvertretende Kommandeur der Tanmen-Miliz ist.
Neue Kutter mit großer Reichweite
Seit Xis Besuch in Tanmen wird der Aufbau von Milizen auf Hainan von der Regionalregierung gezielt gefördert, wie Andrew Erickson und Conor Kennedy für die US-Fachzeitschrift "National Interest" herausarbeiteten. Demnach werden großzügige Subventionen für den Bau größerer Stahlrumpfschiffe mit einer Mindestreichweite von 2000 Seemeilen gezahlt. Diese neuen 500-Tonnen-Schiffe ersetzen kleinere Holzboote, die nur in den stark befischten Küstengewässern operieren können. Laut Erickson und Kennedy übernehmen unterschiedliche Regierungsorgane etwa 1,8 Millionen der fünf Millionen Renminbi (umgerechnet rund 675.000 Euro) Baukosten. Damit können nicht nur längere Fangreisen unternommen werden, sondern die Metallrümpfe sind auch widerstandfähiger - zum Beispiel bei Rammstößen.
Die Bauzuschüsse sind nicht die einzigen finanziellen Hilfen für die Milizionäre der hohen See. Nach "Washington Post"-Recherchen wird auch der Treibstoff für die langen Fangreisen subventioniert und 50.000 Fischerboote auf Hainan wurden fast kostenlos mit GPS- und Kommunikationssystemen ausgerüstet. So können Fischer schnell Hilfe der Küstenwache anfordern.
Rammangriffe und Wasserwerfer
Die enge Kooperation zwischen irregulären und offiziellen Marineeinheiten im Südchinesischen Meer wurde in der Vergangenheit mehrfach deutlich. Zwischen Mai und Juli 2014 eskortierten Schiffe von Küstenwache, Fischereimilizen und Marine die chinesische Ölplattform HYSY 981 zu einer neuen Position südwestlich der zwischen Vietnam und China umstrittenen Paracel-Inseln.
Milizschiffe bildeten dabei den inneren Abwehrring, Küstenwache und Marine übernahmen den weiter außen liegenden Schutz. Nach Recherchen von Erickson und Kennedy nahmen 29 Schiffe der Fischereimiliz von Sanya, eine Stadt auf der Südseite Hainans, an der Aktion teil, die immer wieder mit vietnamesischen Fischereibooten aneinandergerieten. Nach gegenseitigen Rammangriffen und dem Einsatz von Wasserwerfern sanken demnach drei vietnamesische Holzrumpf-Boote.
SWP-Experte Paul spricht bei dieser Art der Kooperation von einer "Kohlkopf"-Strategie: Wie die Blätter eines Kohls bilden Fischerboote, Küstenwache und am Horizont die Kriegsmarine mehrere Ringe um ein Objekt - sei es Plattform, Schiff oder Insel. Schicht um Schicht werde dieses Objekt dann besser geschützt beziehungsweise eingeengt.
Keine Handhabe gegen die Fischer
Wie diese "Kohlkopf"-Strategie offensiv eingesetzt werden kann, zeigte sich im vergangenen Oktober nahe eines umstrittenen Archipels in den Spratly-Inseln. Als der US-Lenkwaffenzerstörer "Lassen" das Gebiet durchquerte, um die internationale Navigationsfreiheit (Freedom of Navigation) durch die Gewässer zu untermauern, wurde das Kriegsschiff immer wieder von Fischerbooten gestört. Es ist nicht erwiesen, dass diese Kutter zu einer Miliz gehörten. Erickson geht allerdings davon aus und spricht von einer "verkleideten Armee".
Für die US-Marine sind Zwischenfälle mit augenscheinlich zivilen Booten kompliziert, weil es keine etablierten Einsatz- und Kommunikationsregeln gibt. Wären chinesische Marineschiffe auf Tuchfühlung mit der "Lassen" gegangen, hätten die USA sich offiziell über das Verhalten beschweren können. Bei Fischereimilizen geht dies dagegen nicht, weil Peking die Verantwortung leicht abstreiten kann.
"Laufend Zwischenfälle"
Eine sprichwörtlich enge Zusammenarbeit zwischen der chinesischen Küstenwache und einem Fischerboot gab es laut "Washington Post" am 20. März etwa 900 Seemeilen von Hainan entfernt. In der Nähe der indonesischen Natuna-Inseln wurde ein illegal fischender chinesischer Kutter aufgebracht und an die Leine genommen. Während des Abschleppens näherte sich ein Schiff der chinesischen Küstenwache und rammte den chinesischen Kutter mehrfach, um ihn wieder Richtung Südchinesisches Meer zu drücken. Die Indonesier kappten daraufhin die Leine, so die US-Zeitung.
Die chinesische Küstenwache schützt die Boote der Fischereimilizen (Archiv 2014)
Die meisten Vorfälle mit Fischereimilizen blieben unter der Berichtsschwelle, so SWP-Sicherheitsexperte Paul. Darum sei es insbesondere schwierig zu sagen, wie häufig es Auseinandersetzungen zwischen chinesischen Milizionären und Fischern anderer Nationalitäten kommt. Regierungsstellen in Vietnam und Indonesien bestätigten aber, dass es "laufend" Zwischenfälle gebe.
Wie geht es nach dem Schiedsgericht weiter?
Am Dienstag entscheidet der Internationale Schiedshof in Den Haag über Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Als wahrscheinlich gilt, dass die weitreichenden Ansprüche Pekings zurückgewiesen werden. Dann würden sowohl China als auch die USA ihre Position stärker zeigen wollen, ist Thomas Eder vom Forschungsinstitut Merics überzeugt. Da China aber kein Interesse an einer großen Eskalation habe, könnten eher Fischereimilizen eingesetzt werden als die Marine. Schließlich sei ein gewisses Maß an Abstreitbarkeit gewünscht, sagte der Völkerrechtler im Gespräch mit tagesschau.de. Fischereimilizen werden also wahrscheinlich auch in Zukunft eine wichtige Rolle im Südchinesischen Meer spielen.