Nach Verlängerung der IAAF-Sperre Hintergründe und Folgen
Es ist eine sporthistorische Entscheidung: Die russischen Leichtathleten bleiben weiter gesperrt, die Olympischen Spiele in Rio sind für die meisten von ihnen damit wohl passé. tagesschau.de beleuchtet Fakten, Hintergründe und die möglichen Folgen.
Wie lauten die Vorwürfe?
Im Dezember 2014 enthüllte die ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping", dass russische Athleten systematisch gedopt wurden. Den Vorwürfen des Filmemachers Hajo Seppelt ging die Welt-Anti-Doping-Kommission (WADA) nach.
Das Ergebnis: Die WADA bestätigte das systematische Doping. In einem 323-seitigen Report vom November 2015 zeigte Chefermittler Richard Pound, dass Doping und Bestechung im russischen Spitzensport bis in die höchsten Führungszirkel hinein bekannt waren. Im Moskauer Anti-Doping-Labor wurden mindestens 1400 verdächtige Proben vernichtet.
Dank neuer Methoden können verbotene Substanzen auch in Proben aus früheren Jahren nachgewiesen werden.
Weitere Berichte der WADA folgten: Zwei Tage vor der Entscheidung über den Olympia-Ausschluss erhoben die Ermittler neue Vorwürfe. Demnach konnten in den vergangenen Monaten insgesamt 736 geplante Dopingkontrollen nicht durchgeführt werden. Athleten und sogar Geheimdienstmitarbeiter behinderten die Arbeit der Kontrolleure. Eine weitere ARD-Doku brachte ans Licht: Bekannte Strippenzieher im russischen Doping-System wie Geher-Coach Viktor Tschegin sind offenbar weiter im Einsatz. Trotz gegenteiliger Beteuerungen von russischer Seite.
Was unterscheidet das russische Doping-System von früheren Fällen?
Systematisches Doping gab es auch schon in der Vergangenheit: In den 1970er- und 1980er-Jahren nahmen etwa viele DDR-Sportler leistungssteigernde Mittel. Diese Manipulationen mit teilweise massiven Gesundheitsschäden bei den Athleten waren staatlich organisiert.
Anders gelagert war der Dopingskandal im Radsport. Hier manipulierte nicht ein Land, sondern praktisch eine ganze Sportart. Ex-Sportler berichteten von flächendeckendem Doping in den 1990er-Jahren.
Neu wäre eine kollektive Dopingsperre für alle Athleten eines Landes in einer Sportart nicht. Im November 2015 entschied der Gewichtheber-Weltverband IWF, Bulgarien wegen zahlreicher Doping-Fälle von den Spielen in Rio auszuschließen.
Bedeutet die Sperre das endgültige Olympia-Aus?
Nein. Ein Olympia-Ausschluss kann nur vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) beschlossen werden. Doch IOC-Chef Thomas Bach hat bereits angekündigt, dass die Entscheidung über ein Startrecht russischer Leichtathleten bei Olympia in der Hand des Weltverbandes IAAF liege. Das ist deshalb interessant, weil Bach seit Jahren als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin gilt.
Über einen Umweg für russische Leichtathleten zu Olympia wird auch spekuliert: Nachweislich saubere Sportler könnten in Rio unter olympischer Flagge starten. Diesen Weg hält etwa David Müller von NADA Austria für möglich.
Für den enommierte Sportjournalist Jens Weinreich wäre das eine "inakzeptable Lösung". Unwahrscheinlich sei sie jedoch nicht, weil Bach "zu sehr mit Putin verbandelt ist und ihn immer verteidigt hat", meint Weinreich gegenüber tagesschau.de.
Könnte man nachweislich saubere russische Sportler nicht trotzdem bei Olympia starten lassen?
Könnte man natürlich. Doch die Differenzierung zwischen "sauber" und "gedopt" ist schwer. Weil sich die Vorwürfe auch gegen das russische Anti-Doping-Labor richten, ist fraglich, wie aussagekräftig negative Proben der Vergangenheit wirklich sind.
Darauf weist auch Clemens Prokop, Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, hin: "Nach den bekannten Fakten über die Wirkung entfaltet Doping seinen größten Nutzen, wenn es in den Zeiten der höchsten Trainingsbelastung genommen wird, im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2016 also im Herbst 2015 und im Frühjahr 2016", erklärte Prokop. Nur wenn in diesen Zeiträumen vergleichbare Kontrollbedingungen bestanden hätten, bestünde in Rio auch Chancengleichheit im Wettkampf.
Auch die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) warnt: "Jetzt Leichtathleten im Schnellverfahren noch zu kontrollieren, bringt nichts", erklärte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer. "Die Hochdopingphase ist längst vorbei."
Was würde ein endgültiger Olympia-Ausschluss der Russen bedeuten?
Auf jeden Fall Klagen russischer Athleten. Denn schon vor der IAAF-Entscheidung haben Sportler wie die Stabhochsprung-Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa angekündigt, notfalls vor Gericht eine Olympia-Teilnahme zu erstreiten. "Seit 20 Jahren sind meine Dopingproben negativ, und jetzt soll ich wegen der Verstöße anderer gesperrt werden", kritisierte Issinbajewa. Dabei werde auch im Westen gedopt, sagte die 34-Jährige und nannte unter anderem Deutschland und die USA.
In einem offenen Brief an das IOC forderten russische Sportler ihre Starterlaubnis: "Es wäre unfair, wenn saubere russische Athleten von den Olympischen Spielen ausgeschlossen würden, während manche Athleten aus anderen Ländern mit einer Doping-Vergangenheit ohne Beschränkung teilnehmen könnten", heißt es in dem Brief, den mehrere russische Olympiasieger unterzeichneten.