Lage in Idlib EU fordert Zugang für Hilfslieferungen
Die Waffenruhe in der syrischen Provinz Idlib scheint bislang einigermaßen zu halten. Die EU-Außenminister fordern nun "ungehinderten" Zugang für Hilfslieferungen an die notleidende Bevölkerung. Zudem ist eine Geberkonferenz geplant.
Es ist eine erste Atempause für die notleidende Bevölkerung in der syrischen Provinz Idlib, die seit Wochen heftige Kämpfe ertragen muss. Zumindest für den Moment scheint der gestern zwischen Russland und der Türkei vereinbarte Waffenstillstand zu halten, der um Mitternacht (Ortszeit) in Kraft getreten war. Zumindest die Luftangriffe wurden offenbar eingestellt.
Die EU fordert nun Zugang für Hilfslieferungen. Bei einem Sondertreffen in Zagreb riefen die EU-Außenminister die Konfliktparteien "nachdrücklich" auf, "die ungehinderte Bereitstellung humanitärer Hilfe durch die internationale Gemeinschaft" zu ermöglichen. Litauens Außenminister Linas Linkevicius sagte, die Waffenruhe sei eine Chance, "die Situation ruhig zu diskutieren, um eine friedliche Lösung zu finden".
Die türkisch-russische Vereinbarung nahmen die EU-Außenminister in einer Erklärung nur zur Kenntnis - begrüßten sie aber nicht ausdrücklich. Sie verlangten von den Konfliktparteien, einen "dauerhaften Waffenstillstand" und "den Schutz der Zivilbevölkerung am Boden und in der Luft" zu gewährleisten.
Für die Versorgung der Bevölkerung in Nordwestsyrien stellt die EU-Kommission den Teilnehmern des Treffens zufolge weitere 60 Millionen Euro zur Verfügung. Für Ende Juni ist zudem eine Geberkonferenz geplant. Die Hilfslieferungen könnten theoretisch über einen Sicherheitskorridor erfolgen, den Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan gestern vereinbart hatten: Vorgesehen ist ein zwölf Kilometer breiter Korridor entlang einer strategisch wichtigen Autobahn.
Fraglich ist allerdings, wie sicher die Lage vor Ort wirklich ist. So meldete die oppositionsnahe Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London weitere Gefechte zwischen syrischen Regierungstruppen und Kämpfern einer islamistischen Rebellengruppe. Dabei seien 15 Menschen getötet worden. Die Aktivisten-Organisation sitzt in England, stützt sich bei ihren Angaben auf Angaben von Informanten in Syrien, die aber von unabhängiger Seite oft kaum nachprüfbar sind.
Rebellen: Glauben nicht an Waffenruhe
Der Glaube daran, dass die in Moskau nach sechsstündigen Verhandlungen vereinbarte Waffenruhe hält, ist bei den beteiligten Konfliktparteien ohnehin nicht groß. "Wir vertrauen der russischen Seite und den Gangs des (syrischen Präsidenten Baschar) al-Assad nicht", erklärte der Sprecher des Rebellenbündnisses Nationale Befreiungsfront, Mustafa Nadschi.
Auch der Sprecher der oppositionellen Syrischen Nationalarmee, Jussif Hammud mag nicht glauben, dass Russland in der Lage ist, seine Versprechen und Verpflichtungen einzuhalten. "Die Waffenruhe wird nicht halten", sagte er. Da in der Region weiterhin "Terroristen des Regimes" präsent seien, könnten auch die Vertriebenen nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Nur dann hätte ihr Leiden aber ein Ende.
Praktisch leer ist derzeit die Schnellstraße M4, entlang derer der vereinbarte Sicherheitskorridor verläuft.
Maas: "Lassen uns von Erdogan nicht erpressen"
Die Außenminister befassten sich auch mit den indirekten Auswirkungen der Kämpfe in Syrien - der angespannten Lage an der EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei, wo auch viele geflohene Syrer ausharren. In einer Erklärung bekräftigten die Minister, dass das Vorgehen Ankaras "nicht akzeptabel" sei. Die türkische Regierung hatte am Wochenende erklärt, es öffne angesichts der Lage in Syrien seine Grenzen Richtung Europa. Griechische Sicherheitskräfte hinderten seitdem zehntausende Menschen daran, über die Grenze zu kommen.
"Wir haben noch einmal sehr deutlich gemacht in großer Einigkeit, dass wir uns nicht erpressen lassen von der Türkei", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas. Gleichzeitig nehme die EU zur Kenntnis, dass Ankara rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien beherberge. Die Europäer seien vor diesem Hintergrund bereit, ihre Verpflichtungen aus dem Flüchtlingsabkommen von 2016 zu erfüllen. "Wir erwarten aber genauso von der Türkei, dass sie dieses Abkommen einhält."
Die EU hatte Ankara 2016 sechs Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei zugesagt. Im Gegenzug verpflichtete sich die türkische Seite, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten zurückzunehmen, seine Grenzen zu sichern und gegen Schlepperbanden vorzugehen.
Viele unterschiedliche Interessen im Bürgerkrieg
In dem seit Jahren andauernden Konflikt in Syrien werden die eigentlichen Konfliktparteien aus dem Ausland unterstützt. In Idlib gehen die Truppen des syrischen Machthabers Assad mit russischer Hilfe seit Dezember massiv gegen die letzte Rebellenhochburg vor. Knapp eine Million Menschen sind seitdem nach UN-Angaben in die Flucht getrieben worden, die meisten von ihnen Frauen und Kinder.
Die Türkei unterstützt in der Provinz Rebellengruppen, darunter auch islamistische Gruppierungen. Sie startete ihrerseits vor einigen Tagen eine große Militäroffensive gegen die Regierungstruppen in der Region, nachdem bei einem syrischen Luftangriff auf türkische Beobachterposten 34 Soldaten getötet worden waren. Am Donnerstag wurden zwei weitere türkische Soldaten bei Beschuss durch die syrische Regierungsarmee getötet, wie das Verteidigungsministerium in Ankara mitteilte.