Asteroid fliegt an der Erde vorbei (Illustration)
Interview

ESA eröffnet Asteroidenabwehrzentrum "Ein Atomsprengkopf hilft kaum"

Stand: 22.05.2013 14:32 Uhr

Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat im italienischen Frascati ihr Asteroiden-Abwehrzentrum eröffnet. Dies sei sinnvoll, da es eine permanente Bedrohung aus dem All gebe, sagt WDR-Wissenschaftsredakteur Jan Friese im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Droht uns eine Gefahr aus dem All?

Jan Friese: Das lässt sich nie hundertprozentig ausschließen. Allein durch unser Sonnensystem kreisen und trudeln rund 600.000 Objekte, die den Forschern bekannt sind. Die Brocken haben dabei Größen von der einer Kokosnuss bis hin zur Größe eines ganzen Gebirgszuges. Getroffen wird die Erde im Grunde ständig. Nach NASA-Schätzungen sind es im Schnitt bis zu 100 Tonnen täglich, die auf die Erde treffen.

Jan Friese, WDR
Zur Person

Jan Friese ist Redakteur der Wissenschaftsredaktion des WDR-Hörfunks.

tagesschau.de: Warum bekommen wir davon so wenig mit?

Friese: Die meisten Objekte sind winzig und verglühen bereits harmlos in den oberen Luftschichten. Trotzdem ist - vereinfacht gesagt - jede Sternschnuppe, die wir sehen, etwas, das unseren Planeten getroffen hat. Auch größere Objekte mit mehreren Metern Durchmesser treffen die Erde alle paar Wochen oder Monate. Meist gehen sie aber unbemerkt in den Weiten der Meere, Wüsten oder Wälder nieder.

tagesschau.de: Was kann passieren, wenn ein Asteroid die Erde trifft?

Friese: Mehrere Faktoren sind entscheidend: Größe, Geschwindigkeit, das Material, aus dem er besteht, und der Untergrund, auf den er trifft. Bei einem Durchmesser von knapp 50 Metern, wäre - je nach Material und Geschwindigkeit - der Krater leicht zwischen ein bis zwei Kilometern groß. In so einem Krater verschwände die komplette Kölner Altstadt. So ein kosmisches Geschoss würde eine ganze Region verwüsten, wäre aber für die Welt vermutlich noch handelbar. Von einer überregionalen Katastrophe müssten wir sicherlich bei einem Objekt von mehreren Hundert Metern Durchmesser sprechen. So ein Einschlag hätte die Kraft mehrerer Tausend Atombomben. Ganze Landstriche würden zerstört und Millionen Menschen könnte es das Leben kosten.

Ab einer Größe von mehreren Kilometern ist das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, bedroht. Die Dinosaurier wurden aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Einschlag eines Asteroiden vernichtet, der einen Durchmesser von gut zehn Kilometern hatte.

tagesschau.de: Was soll nun das sogenannte Asteroiden-Abwehrzentrum der ESA leisten, das jetzt in Italien eröffnet wird?

Friese: Es handelt sich dabei vor allem um ein Koordinationszentrum, das Informationen, Kommunikation und Entscheidungen wesentlich besser bündeln soll. Überall auf der Welt blicken Teleskope von Amateuren und Profis in den Himmel und entdecken laufend neue erdnahe Objekte. Auch Weltraumradare richten ihre Ohren ins All. In dem neuen Zentrum im italienischen Frascati soll das nun alles zusammenlaufen - auch, um bessere und genauere Berechnungen über die Flugbahnen anzustellen, um festzulegen, welche Behörden wann und wie informiert werden müssen und welche Gegenmaßnahmen eingeleitet werden könnten. Das beginnt bei ganz normalen Warn- und Evakuierungsplänen und geht bis zur konkreten Abwehr eines kosmischen Geschosses.

Was ist der Unterschied zwischen Meteorit und Asteroid?

Meteoriten sind kleine Gesteinsbrocken, die auf die Erde stürzen. Das passiert, wenn Himmelskörper, die in die Erdatmosphäre eintreten, nicht vollständig verglühen. Bisher hat es bei Meteoriteneinschlägen selten Verletzte gegeben.

Asteroiden sind kleine Himmelskörper, die um die Sonne kreisen. Kollidieren Asteroiden mit Planeten, entstehen in der Regel Einschlagskrater. Auch die Erde wurde in ihrer Geschichte schon einige Male von Asteroiden getroffen.

tagesschau.de: Wie ließe sich ein Asteroid, der auf die Erde zusteuert, abwehren?

Friese: Hollywood spielt immer mit dem Szenario: Atomsprengkopf rein und auseinandersprengen. Das ist unrealistisch und würde kaum helfen, denn dann bekommt man im Zweifelsfall mehrere Bruchstücke ab. Stattdessen würde man versuchen, den Brocken abzulenken. Besonders erfolgversprechend scheint die Methode, eine Sonde gegen so einen Felsbrocken zu schießen. Der Asteroid würde durch den Einschlag ganz leicht angestupst, so dass er seine Umlaufbahn etwas ändert. Erfahrungen konnte man 2010 sammeln, als die NASA bei der Mission "Deep Impact" den Teil einer Sonde auf den Kometen Tempel 1 aufschlagen ließ. Es handelte sich hier aber nur um ein Experiment.

Eine andere Methode wäre, eine schwere Sonde neben dem Asteroiden herfliegen zu lassen. Weil sich zwei Körper immer anziehen, ändert sich dann seine Flugbahn - zwar nur minimal, aber frühzeitig genug ausgeführt, würde dies genügen.

Im Gespräch sind auch Techniken, die Oberfläche des Asteroiden durch eine nahe Atomexplosion so aufzuheizen, dass die verdunstenden Gase ihn verschieben - ähnlich einer Raketensteuerdüse.

tagesschau.de: Wie sicher sind diese Pläne?

Friese: Größtenteils sind die Pläne noch rein theoretisch, mit ersten kleinen Experimenten. Ganz unabhängig von der Methode ist die Zeit der entscheidende Faktor. Um Abwehrmaßnahmen gezielt einleiten zu können, müsste die ESA das potenziell gefährliche Objekt schon Jahre, besser noch Jahrzehnte, vor einem möglichen Aufschlag entdecken.

tagesschau.de: Welchen Einfluss hatte der Meteoriten-Einschlag in Tscheljabinsk im Ural auf die Pläne der ESA?

Friese: Auf jeden Fall hat die ESA politisch profitiert. Zuvor war es für die Experten sehr schwer, die Szenarien zu verdeutlichen. Jetzt haben sie ihre Forschung und Ziele einer breiten Öffentlichkeit bewusst machen können und auch unmittelbar nach Tscheljabinsk mehr Unterstützung gefordert. Das Koordinationszentrum war allerdings bereits länger geplant.

Das Interview führte Judith Pape für tagesschau.de