ESA-Trainer im Interview "Gleichgewicht ist durcheinander"
Für den menschlichen Körper ist der Flug zurück zur Erde eine Strapaze - und auch danach läuft noch nicht alles wieder rund: ESA-Trainer Seine über Gersts Landung und ob der Mond das nächste Ziel ist.
NDR: Mit 28.000 Kilometern pro Stunde flogen Alexander Gerst und seine beiden Raumfahrerkollegen Richtung Erde. 2000 Grad Celsius waren es beim Wiedereintritt in die Atmosphäre um sie herum. Dazu kam dieses Mal noch ein Loch in der Sojus-Kapsel. War es eine besonders holprige Landung?
Rüdiger Seine: Nein, die Landung ist vollständig planmäßig abgelaufen. Die Kapsel ist sogar richtig aufrecht stehend gelandet, so dass die Astronauten, Kosmonauten auch nicht mehr durchgeschüttelt worden sind, als zwingend notwendig war.
Rüdiger Seine ist Leiter der Astronautenausbildung bei der European Space Agency (ESA) in Köln. Dort bereitete sich auch der Astronaut Alexander Gerst auf seine Mission auf der Internationalen Raumstation ISS vor.
NDR: Wenn man die Bilder sich anschaut, dann sehen die Astronauten doch aber ziemlich geschafft aus. Dieser Flug zurück und dann die Landung. Was macht das mit den Astronauten - mit Alexander Gerst und seinen Kollegen. Wie stark ist die Belastung für den Körper?
Seine: Die Belastung für den Körper ist relativ stark. In der schwersten Phase des Fluges, wenn die Kapsel durch das Plasma dringt, wirkt etwa das Vier- bis Fünffache der eigenen Schwerkraft, also des eigenen Körpergewichts. Die Astronauten befinden sich aber in Sitzen, die ganz genau auf ihren Körper angepasst sind. Und die Konstruktion liegt so, dass die Kraft auf den Rücken des Raumfahrer wirkt, der eingebettet ist in die Sitzschale.
NDR: Jetzt kam ja die Belastung durch diese lange Zeit im All noch dazu. Wie wirkt sich das denn aus?
Seine: Das ist eigentlich der Hauptaspekt, der jetzt die ersten Tage für die Astronauten schwierig macht. Nachdem sie fast 200 Tage lang ihre Muskeln nur sehr wenig benutzt haben, weil in der Schwerelosigkeit natürlich viel weniger Kraftaufwand erfordert, sind sie jetzt erstmal ein bisschen schwächer, als sie beim Start waren - auch wenn sie viel Sport gemacht haben. Und dadurch, dass jetzt wieder Schwerkraft wirkt, gerät das Gleichgewichtsorgan natürlich ein bisschen durcheinander.
NDR: Jetzt ist Alexander Gerst erst mal wieder zurück auf der Erde, aber es gibt ja schon Spekulationen darüber, ob es vielleicht eine dritte Mission für ihn geben wird. Die könnte ihn womöglich zum Mond führen. Was sagen Sie dazu?
Seine: Soweit sind wir noch gar nicht. Zum Ersten haben wir noch keinen Beschluss, wirklich zum Mond zu fliegen. Erstmal müssen die Mitgliedsländer sagen, dass sie eine solche Mission ausrüsten wollen. Für Alexander Gerst stehen jetzt erstmal andere Dinge im Vordergrund. Jetzt müssen erstmal die medizinischen Tests gemacht werden. Es werden weitere wissenschaftliche Untersuchungen gemacht, denn natürlich wollen wir auch wissen, wie der Körper sich wieder zurück anpasst auf die Erde. Das ist für die Wissenschaftler sehr interessant. Und dann hat er auch erstmal ein bisschen Zeit, sich auszuruhen. Und danach werden wir uns mit ihm darüber unterhalten, was seine nächsten Aufgaben sind.
NDR: Was sagen Sie denn? War seine zweite Mission diesmal erfolgreich?
Seine: Wie Sie es sagen, klingt es fast, als wäre die erste nicht auch schon ein voller Erfolg gewesen. Die erste war erfolgreich. Die zweite war ein sehr großer Erfolg. Wir haben sehr viel mehr wissenschaftliche Experimente durchführen können, als wir ursprünglich geplant hatten. Die Crew hat hervorragend gearbeitet. Und wir sind extrem zufrieden mit den Resultaten und freuen uns mit den Wissenschaftlern darauf, die Auswertung, die jetzt in den nächsten Monaten geschehen wird, zu sehen - um dann der Öffentlichkeit sichtbare Ergebnisse präsentieren zu können.
NDR: Wie wird es denn auf der ISS jetzt nach dem Schichtwechsel weitergehen? Gibt es schon neue Forschungsprojekte?
Seine: Auf der ISS laufen kontinuierlich Forschungsprojekte. Die drei zurückgebliebenen Besatzungsmitglieder werden jetzt weiterarbeiten an ihren Experimenten und bis zur Verstärkung - wenn wieder mehr Astronauten auf der Station sind - das Programm so gut es geht am Laufen halten. Wir haben natürlich, dadurch dass wir eine Besatzung zwischendrin verloren haben, im Moment ein bisschen weniger wissenschaftliche Aktivitäten, als wir ursprünglich geplant hatten. Aber die Crews arbeiten sehr stark daran, das Programm möglichst weitgehend am Laufen zu halten.
Das Interview führte Liane Koßmann, NDR Info