Nach den Hamas-Razzien im Gazastreifen Jede kritische Organisation wird geschlossen
Am Wochenende wurden im Gazastreifen dutzende Menschen von der Hamas festgenommen - darunter auch ein palästinensischer ARD-Kameramann. Wie es ihnen geht, ist unklar, Informationen aus dem Gebiet sind dürftig. ARD-Korrespondent Richard C. Schneider über die Probleme der Berichterstatter.
Am Wochenende wurden im Gazastreifen dutzende Menschen von der radikalen Hamas festgenommen - darunter auch ein palästinensischer ARD-Kameramann. Wie es ihnen geht ist unklar, denn die Informationen aus dem Gebiet sind dürftig und nicht zu überprüfen.
ARD-Korrespondent Richard C. Schneider über die Lage im Gazastreifen, die Probleme der Berichterstatter und mögliche politische Folgen aus den jüngsten Ereignissen.
tagesschau.de: Herr Schneider, die radikale Hamas hat im Gazastreifen zahlreiche Menschen festgenommen, weil sie Anhänger der konkurrierenden Fatah sein sollen. Unter den Festgenommenen ist auch Ihr Kameramann Sawah Abu Saif. Wie ist die Lage im Gazastreifen im Moment?
Richard C. Schneider: An der Oberfläche scheint es ruhig zu sein - aber das ist wirklich nur die Oberfläche. Derzeit werden offenbar sehr viele Menschen verhaftet. Dutzende Organisationen, darunter NGO´s und zivilrechtliche Vereinigungen, wurden von der Hamas geschlossen. Drei palästinensische Zeitungen, die der Fatah nahe stehen, dürfen nicht mehr verteilt werden. Die Nachrichtenagentur Wafa wurde geschlossen, ebenso der Sender Abu Dhabi TV. Die Hamas schließt derzeit jede Organisation, die in irgendeiner Form kritisch sein könnte.
tagesschau.de: Palästinensische Menschenrechtsorganisationen und Human Rights Watch berichten über eine Zunahme von Folter im Gazastreifen und im Westjordanland. Auch einige der am Wochenende Festgenommenen sollen gefoltert worden sein. Können Sie das bestätigen?
Schneider: Folter ist in diesen Gebieten nicht neu - weder im Gazastreifen noch im Westjordanland. Die Hamas foltert in ihren Gefängnissen, die Fatah foltert ebenfalls in ihren Gefängnissen. Dies weiß man schon seit längerer Zeit. Im Moment sind wir natürlich in besonders großer Sorge, weil unser eigener Kameramann im Gazastreifen festgehalten wird. Wir hören aus Gaza - aber ich muss die Glaubwürdigkeit dieser Quellen ausdrücklich einschränken, weil ich es nicht selbst überprüfen kann - dass einige der Verhafteten inzwischen freigelassen worden sind. Es wird berichtet, dass einige von ihnen gefoltert worden sein sollen. Solche Nachrichten machen uns im Moment natürlich nicht ruhiger - auch wenn wir sie nicht bestätigen können.
"Wir können nicht berichten"
tagesschau.de: Können Sie, angesichts der jüngsten Ereignisse im Gazastreifen, eigentlich überhaupt noch aus dem Gebiet berichten?
Schneider: Im Moment eigentlich nicht. Wir selbst können überhaupt nicht berichten: Unser Kameramann ist eingesperrt, wir können nicht drehen. Und unser Producer vor Ort hält sich jetzt natürlich sehr bedeckt, weil er sich um sein eigenes Wohlergehen sorgt. Es geht nicht viel im Moment - interessanterweise kam gestern selbst von den Nachrichtenagenturen im Gazastreifen keine einzige Meldung. So wie uns geht es im Moment vielen Journalisten.
Was die jetztige Entwicklung mittel- und langfristig für die Berichterstattung aus dem Gazastreifen bedeutet, kann man noch gar nicht abschätzen. Wir haben bereits massive Probleme mit Dreharbeiten, seit die Hamas die Macht im Gazastreifen übernommen hat. Bestimmte Dinge können wir überhaupt nicht mehr - oder nur unter Lebensgefahr - drehen. Die Arbeit ist im vergangen Jahr zunehmend schwerer geworden. Die Leute im Gazastreifen sind außerdem gegenüber Journalisten extrem vorsichtig geworden.
tagesschau.de: Haben Sie Neuigkeiten von Ihrem Kameramann?
Schneider: Direkte Neuigkeiten gibt es nicht. Wir haben von zwei Menschen, die mit ihm zusammen im Gefängnis gewesen und inzwischen freigelassen worden sind, gehört, dass Sawah Abu Saif in ein Krankenhaus verlegt worden sein soll. Warum wissen wir nicht - wir haben darüber verschiedene Darstellungen bekommen. Darstellungen, das muss ich noch einmal betonen, die mit allergrößter Vorsicht zu genießen sind und die ich nicht bestätigen kann.
Die einen sagen, unser Kameramann sei gefoltert worden. Die anderen sagen dagegen, es würde ihm gesundheitlich sehr schlecht gehen und er sei deswegen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ich kann diese Berichte überhaupt nicht verifizieren - das einzige, was relativ sicher zu sein scheint ist, dass Sawah Abu Saif in ein Krankenhaus eingeliefert worden ist. Dabei handelt es sich allerdings um ein Hamas-Krankenhaus, das heißt: Er ist nach wie vor ein Gefangener.
Ein Friedensabkommen bis Ende 2008 wird es nicht geben
tagesschau.de: Die Hamas begründet ihre Razzien damit, man habe Aktivisten der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Machmud Abbas festnehmen wollen. Der hat jetzt noch einmal sein Gesprächsangebot an die Hamas erneuert. Welche Möglichkeiten hat Abbas?
Schneider: Keine. Im Gegenteil, die Situation ist für Machmud Abbas und damit für die moderatere Fatah extrem schwierig geworden. Die Hamas ist aus dem Gazastreifen schlicht nicht zu vertreiben - es gibt weit und breit niemanden, der ihrer Herrschaft ein Ende bereiten könnte. Die Fatah selbst hat innerhalb des Gazastreifens überhaupt keine Möglichkeiten. Die Palästinenser sind gespalten - und das bringt Abbas in eine Zwickmühle. Eine Einheitsregierung mit der Hamas wird es nicht geben, zumindest nicht auf absehbare Zeit. Gleichzeitig hat Israels Ministerpräsident Ehud Olmert gerade erst erklärt, er rechne nicht mehr damit, dass man bis Ende 2008 zu irgendeiner Form von Friedensabkommen kommt.
Olmerts Äußerung überrascht hier niemanden: Als US-Präsident George W. Bush Anfang des Jahres hier war und erklärt hat, bis Ende des Jahres werde es einen Friedensabkommen geben, da haben hier alle - Israelis und Palästinenser - gelacht. Beide Seiten waren sich noch nie so einige wie in der Einschätzung, dass es zu dem Friedensabkommen, das Bush prophezeit hatte, bis Ende des Jahres nicht kommen werde.
Das allerdings setzt die Fatah zeitlich und politisch unter großen Druck, denn die Bevölkerung ist des Redens müde. Wenn aber die Fatah keine Lösungen für die Probleme bieten kann, nützt das nur der Hamas. Die nämlich kann dann auf ihrem Standpunkt beharren, dass alle Verhandlungen mit Israel sinnlos seien.
Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de