Interview

Interview zur Lage der Terrorgruppe "Al Kaida wurde weiter geschwächt"

Stand: 02.05.2012 02:55 Uhr

Die Terrororganisation Al Kaida war schon zu Lebzeiten Bin Ladens nicht mehr so stark - ein Prozess, der durch die Tötung ihres Chefs verstärkt wurde, sagt Terrorismus-Experte Guido Steinberg im Interview mit tagesschau.de. Und er erklärt, warum Al Kaida auch immer mehr finanzielle Unterstützer verliert.

tagesschau.de: Wie stark ist Al Kaida ein Jahr nach dem Tod von Osama Bin Laden? Ist die erwartete Schwächung des Netzwerks eingetreten?

Guido Steinberg: Al Kaida ist durch den Tod von Osama Bin Laden noch einmal stark geschwächt worden, wobei tatsächlich das wichtigere Ereignis der Arabische Frühling von 2011 ist. Hier hat sich gezeigt, dass die Organisation politisch in ihren Heimatländern vollkommen irrelevant ist.

Gleichzeitig haben sich aber einige neue Operationsmöglichkeiten eröffnet. Insofern wird die Organisation noch eine Reihe von Jahren eine Rolle spielen, aber es zeigt sich eben doch: Sie ist nie mehr gewesen als eine kleine und dann eben doch nicht so starke Terrororganisation.

Zur Person

Guido Steinberg ist Nahost-Experte bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Er beschäftigt sich vor allem mit der politischen Entwicklung der arabischen Staaten sowie mit Islamismus und Terrorismus.

"Sawahiri ist ein sehr viel schwächerer Führer"

tagesschau.de: Mit Aiman al Sawahiri, der früheren Nummer zwei bei Al Kaida, hat sich ein neuer Führer des Netzwerks etabliert. Wie sieht die neue Führung um Al Sawahiri aus?

Steinberg: Es war vollkommen klar, dass der Ägypter Sawahiri sein Nachfolger wird. Er war bereits lange Zeit sein Stellvertreter und er war der Stratege innerhalb der Organisation. Er ist allerdings ein sehr viel schwächerer Führer. Das liegt zum einen daran, dass er nicht sehr charismatisch ist und gerade in diesem Bereich Osama Bin Laden nicht ersetzen kann.

Hinzu kommt, dass Osama Bin Laden ja auch für die Finanzierung der Organisation zuständig war und als Saudi gute Kontakte in die Golfregion hatte. Die hat Sawahiri nicht - und das scheint sich schon auszuwirken. Die Gelder, die bisher vom Golf geflossen sind, aus Saudi Arabien, aus Kuwait, aus den Emiraten scheinen nicht mehr so reichlich zu fließen. Es ist durchaus möglich, dass dieses Geld jetzt eher Richtung Jemen fließt. Das ist eine große Bedrohung für die Organisation.

Außerdem ist Sawahiri auch innerhalb der Organisation nicht unumstritten. Er gilt als Führer des ägyptischen Flügels der Al Kaida - und gegen deren Dominanz der Führungsränge innerhalb der Al Kaida hat es bereits in der Vergangenheit Proteste gegeben von anderen Landsmannschaften. Das dürfte sich auch auswirken, vielleicht noch nicht im ersten Jahr aber in den kommenden Jahren. Al Kaida ist bei weitem nicht mehr so attraktiv, wie sie das bis zum Tod von Osama Bin Laden war.

"Al Kaida ruft Sympathisanten zu Anschlägen auf"

tagesschau.de: Vor einem Jahr gab es viele Spekulationen, was nach der Tötung Bin Ladens passieren würde, welche Vergeltung drohen würde. Ist irgendetwas davon eingetreten, gibt es weltweit eine Aktion, die man direkt zurechnen kann?

Steinberg: Nein, es ist nichts real eingetreten. Al Kaida ist stark geschwächt und sie haben vorher, also vor dem Tod Bin Ladens, schon Probleme gehabt, ihre terroristischen Planungen in die Tat umzusetzen. In Europa beispielsweise liegt der letzte große erfolgreiche Anschlag schon einige Jahre zurück. Das war in London am 7. Juli 2005.

Es hat danach noch einige Anschläge in Pakistan gegeben, aber die Organisation scheint sich auch selbst eingestanden zu haben, dass sie nicht mehr in der Lage ist, die großen Anschläge früherer Zeiten zu organisieren.

Deswegen scheint sie sich jetzt darauf zu verlegen, Sympathisanten und Unterstützer aufzurufen, für sie Anschläge zu verüben - auch wenn es vorher keinen Kontakt zur Organisation gegeben hat und auch wenn kein spezialisiertes Training gegeben wurde.

Das Interview führte Holger Schmidt, SWR.