Interview zum Duell der US-Präsidentschaftskandidaten "Im Fall einer Krise hat Obama keine Chance"
Die US-Präsidentschaftsbewerber Obama und McCain liegen Ende August in Umfragen gleichauf. Die Wahl entscheiden werden die Wirtschafts- und Außenpolitik. Im Fall einer internationalen Krise habe Obama keine Chance, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn im Interview mit tagesschau.de.
Die US-Präsidentschaftsbewerber Obama und McCain liegen Ende August in Umfragen gleichauf. Die Wahl im November entscheiden werden die Wirtschafts- und Außenpolitik. Falls die USA mit einer internationalen Krise konfrontiert seien, habe Obama keine Chance, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn. Im Interview mit tagesschau.de analysiert er, wo und wie sich das Duell um den Einzug ins Weiße Haus entscheidet.
tagesschau.de: Herr Schönenborn, wer wird neuer US-Präsident?
Jörg Schönenborn: Das wissen wir am 5. November. Die Umfragen sagen, dass es keinen Favoriten gibt. Im Moment herrscht laut den wichtigen Instituten absoluter Gleichstand, bei Gallup zum Beispiel 45 zu 45. Aber die Umfragen sind methodisch so, dass auch vier, fünf Punkte Vorsprung im statistischen Fehlerbereich liegen und deshalb seit Wochen niemand substantiell vorne liegt.
tagesschau.de: Ist es falsch zu sagen, dass Obama in der Wählergunst verloren hat?
Schönenborn: Wenn man die landesweite Entwicklung betrachtet, hat es dieses Unentschieden auch vor zwei Wochen und vor sechs Wochen schon gegeben. Spannender ist es, sich die "Battlegrounds" anzusehen, also die Bundesstaaten, die am Ende entscheiden. Das sind wie immer Ohio und Florida, also Staaten mit vielen Wahlmännern. In den letzten Tagen ist zum Beispiel in Florida erkennbar, dass McCain ein paar Punkte Vorsprung gemacht hat. Das sind die Alarmsignale für Obama und nicht die landesweiten Umfragen.
"Obama hat wirtschaftspolitisches Profil geschärft"
tagesschau.de: Woran liegt dieser Umschwung?
Schönenborn: Ich würde nicht von einem Umschwung sprechen, sondern von einer Profilschärfung. Es ist noch deutlicher geworden, dass McCain der Mann für die internationalen Krisen und Obama der Mann für das eigene Land ist. Obama hat sein wirtschaftspolitisches Profil geschärft und dort bei den Werten zugelegt. McCain wird von den Demokraten dargestellt als Multimillionär, der nicht einmal weiß, wie viele Immobilien er besitzt. Obama dagegen legt Wert darauf, seine Herkunft aus armen Verhältnissen deutlich zu machen. Diese Profilschärfung der Demokraten gelingt. Wenn es um wirtschaftliche Fragen geht, traut mittlerweile mehr als die Hälfte der Amerikaner Obama deutlich mehr zu.
tagesschau.de: Der Konflikt im Irak wird in den USA nicht mehr als so schlimm wahrgenommen wie noch vor ein paar Monaten. Wem nützt das?
Schönenborn: Im Moment glaube ich, dass der Irak-Konflikt überhaupt keine Rolle mehr spielen wird, falls er nicht erneut eskaliert. Als wichtigstes Thema nennen 43 Prozent die Wirtschaft und nur noch 14 Prozent den Irak-Krieg. Das ist der niedrigste Wert seit über einem Jahr.
tagesschau.de: Wenn der Irak-Krieg keine große Rolle mehr spielt, wo könnte McCain als Außenpolitiker noch punkten?
Schönenborn: Das Thema Kaukasus-Krieg hat in Amerika mindestens so eine große Rolle gespielt wie bei uns. Das hat mit dem alten russischen Feindbild zu tun, das John McCain erfolgreich wiederbelebt hat. Dieses Thema hat mit dazu geführt, dass McCain aus der Reserve gekommen ist. Es gibt deutlich trennbar die beiden Kompetenzfelder Wirtschaft und Alltagsprobleme bei Obama und die außenpolitische Kompetenz bei McCain. Traut man dem Kandidaten zu, im Krieg die amerikanischen Truppen zu führen? Das sind Felder, in denen McCain punkten kann. Wenn wir Anfang November eine internationale Krise haben, in der sich Amerika herausgefordert fühlt, dann hat Obama, glaube ich, keine Chance.
tagesschau.de: Was könnte Obama tun, um seine Chancen zu verbessern?
Schönenborn: Obama ist im Moment in einem Zwiespalt zwischen Taktik und seinem Versprechen, neu, anders und nicht taktisch zu sein. Ich habe das Gefühl, dass er sich in dieser Frage noch nicht entschieden hat. Er hat versprochen: "Ich bin etwas Neues, ich schaue nicht auf Spielchen, sondern ich tue das, wovon ich überzeugt bin." Und trotzdem ist er dabei, einzelne Wählergruppen mit Botschaften zu bedienen. Der Vize-Präsidentschaftskandidat Joe Biden zum Beispiel ist ein praktizierender Katholik. Wenn man sich die Wählerdaten anschaut, stellt man fest: die Gruppe, in der Obama die größten Probleme hat, sind weiße katholische Männer.
"Obama hat Fehler gemacht"
tagesschau.de: Woran liegt es, dass Obama in den USA nicht die gleiche Strahlkraft hat wie zum Beispiel in Deutschland?
Schönenborn: Die hat er auch in den USA gehabt. Ich glaube, dass wir uns in Deutschland rund um den "Super Tuesday" einen ersten Eindruck verschafft und dieses Bild seither nicht mehr geschärft oder korrigiert haben. Sondern wir haben uns erfreut an der Vorstellung, dass dieses Amerika einem Schwarzen den Weg bereitet. In Amerika gab es diese Begeisterung auch. Obama hatte auch hier die Kraft, Menschen an die Politik heranzuführen. Aber seither ist viel passiert. Obama hat Fehler gemacht. Er hat einzelne Wählergruppen beschimpft, er hat in Vergleichen mit McCain etwa vor den evangelikalen Christen nicht wirklich gut abgeschnitten. All das haben wir in Deutschland ein bisschen ausgeblendet.
tagesschau.de: Wird Obama in Denver konkret sagen, was er tun will? Wird er wegkommen von den Schlagworten des "Change" oder des "Yes we can" hin zu Aussagen, die deutlich machen, was passieren wird, wenn er Präsident wird?
Schönenborn: Ich glaube, dass er das nicht tun wird und dass er auch schlecht beraten wäre, wenn er dies täte. Denn in Amerika fällt die Entscheidung in den letzten drei, vier Wochen vor der Wahl. Dann positioniert sich die Mehrzahl der politisch Uninteressierten. Erfahrungsgemäß suchen die Kandidaten dann nach den richtigen Botschaften und kommen noch mit ein paar Trümpfen aus der Reserve.
Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de