Teil 1: 30. Jahrestag der Islamischen Revolution Zum Jubiläum sind viele Moscheen leer
Am 1. Februar 1979 kehrte Ajatollah Khomeini aus dem Exil in den Iran zurück. Zehn Tage danach wurde das Land zu einem islamischen Gottesstaat. 30 Jahre nach der Revolution sind die Moscheen so leer wie in keinem anderen Land des islamischen Kulturkreises.
Von Ulrich Pick, ARD-Hörfunkstudio Istanbul
Freitag Vormittag im Zentrum von Teheran. Von überall sind religiöse Gesänge zu vernehmen, und Hunderte Schiiten ziehen zum politischen Freitagsgebet auf den Campus der Universität. Es scheint so, als wäre die Religion hier das Maß aller Dinge. Doch der Eindruck trügt. Die Besucher des Freitagsgebets sind eigens aus dem armen Süden der Hauptstadt herangefahren worden. Für sie zählt nicht nur der Gottesdienst, sondern auch eine im Anschluss vom Staat ausgegebene kostenlose warme Mahlzeit.
Gäbe es sie nicht, wäre die Besucherzahl des Freitagsgebets in den letzten Jahren noch erheblich stärker zurückgegangen, als sie es ohnehin schon ist. Denn die Mehrheit der iranischen Bevölkerung will die staatliche Propaganda in Sachen Religion nicht mehr hören. Das sagt zumindest ein Mann, der lange in Deutschland lebte: "Wenn jemand den Koran vor 30 oder 40 Jahren hörte, blieb er stehen und lauschte ganz genau. Aber wenn jetzt im Fernsehen oder im Radio der Koran läuft, dann schalten die Leute aus. Das haben sie mit dem Islam gemacht."
Religiöser Eifer schadete dem Ansehen des Islam
Hintergrund solcher Aussagen ist, dass die Islamische Republik letztlich alles in den Dienst der Religion zu stellen versucht, sowohl die Politik als auch das Privatleben. Dieser Eifer allerdings hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was er bezweckte: Das Ansehen des Islams wurde nicht gefördert, sondern eher diskreditiert.
Daraus folgte, dass die meisten jungen Menschen im Land den Mullahs den Rücken zugewandt haben. Und im Iran sind etwa zwei Drittel der fast 70 Millionen Einwohner unter 35 Jahre alt. Die Moscheen im Iran sind mittlerweile so leer wie in keinem anderen Land des islamischen Kulturkreises.
Widerstand gegen Islamisierung des Lebens
"Wenn man hier in der Islamischen Republik auf die Universität geht, sieht man, dass die jungen Leute keinen Respekt haben vor dem Islam", sagt eine Iran-Kennerin. "Denn der Islam, der hier praktiziert wird, ist kein richtiger Islam. Deswegen gehen die jungen Leute ja auch nicht in die Moschee."
Diese Haltung kann Fariborz Raisdana gut verstehen. Der regierungskritische Ökonom und Soziologe, der sogar kurzfristig im Gefängnis saß, hält es deshalb für unvermeidlich, dass die Ideologie einer Islamisierung des ganzen öffentlichen Lebens aufgehoben wird. Das nämlich könnte verschüttete Kräfte wieder freisetzen und der Religion wieder zu Ansehen verhelfen.
Denn die Mehrheit seiner Landsleute sei keinesfalls anti-religiös, sagt Raisdana: "Viele Menschen sind der Macht der Geistlichen überdrüssig. Sie sind die politischen Interventionen im Namen des Islams leid. Aber sie wollen eine Trennung von Religion und Politik. Sie sagen: Wir lieben den Islam. Und wenn Du Deine Religion liebst, solltest Du die Realität lieben, ein ehrenwerter Mann sein und niemals lügen und etliches mehr. Wenn Du aber Politik machst, zerstörst Du zwangsweise Deine religiöse Haltung. Wir aber lieben unsere Religion für unser Herz, und das ist der wirkliche Grund für diesen Überdruss."
Zum 30. Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran finden Sie auf tagesschau.dein den kommenden Tagen weitere Beiträge, unter anderem zum iranischen Atomprogramm, der Rolle der Frauen im Land oder der Entwicklung der iranischen Gesellschaft.