Iren sagen Nein zum Reformvertrag Ein schwarzer Tag für die EU
Die Wähler in Irland haben bei einem Referendum den EU-Reformvertrag abgelehnt: 53,4 Prozent der Wähler stimmten mit Nein, teilte die Wahlkommission in Dublin mit. Von den 3,05 Millionen registrierten irischen Wählern nutzten lediglich 45 Prozent die Gelegenheit, über den Vertrag abzustimmen, wie der Rundfunksender RTE berichtete. Die geringe Beteiligung galt als günstig für die Reformgegner, weil diese nach allgemeiner Einschätzung stärker zur Stimmabgabe motiviert waren.
Von Ralf Borchard, BR-Hörfunkstudio London
Schon vor Bekanntgabe des Endergebnisses ging der irische Justizminister Dermot Ahern vor Kameras und Mikrofone, und bestätigte: Die Mehrheit der Iren hat Nein gesagt zum EU-Vertrag von Lissabon. Es ist auch eine Niederlage der irischen Regierung und der Politik insgesamt, alle großen Parteien in Irland hatten für ein Ja plädiert. "Das ist ein sehr deutliches Nein-Votum. Aber: Ein Referendum entspricht dem Wesen der Demokratie. Die Bürger haben gesprochen", so Ahern.
Viele Gründe für die Ablehnung
Die Gründe für das Nein sind nach Ansicht irischer Kommentatoren vielfältig. Die Regierung hat sich zu spät und zu unentschlossen für ein Ja engagiert, betont Stephen Colllins von der "Irish Times": "Am Ende hat die Regierung die Kurve gekriegt und eine energische Kampagne geführt. Aber sie war so spät dran, sie hat die Dinge so lange schleifen lassen, dass die Nein-Kampagne schon in der Offensive war und viele Leute ihren Argumenten glaubten."
Auf der Nein-Seite agierte eine bunt gemischte Gruppe von Organisationen, von katholischen Splittergruppen, die eine Aufweichung der strengen irischen Abtreibungsregeln fürchten bis zu Anti-Militaristen, die die traditionelle militärische Neutralität Irlands in Gefahr sehen. Viele diesen Themen hatten mit dem Lissabon-Vertrag wenig oder gar nichts zu tun, meint "Irish-Times"-Kommentator Collins: "Viele Argumente auf der Nein-Seite waren einfach falsch. Sie haben über Aspekte der Verteidigungspolitik gesprochen, die im Lissabon-Vertrag nicht enthalten sind, über Abtreibung, über unsere Steuern, die angeblich EU-bedingt steigen, es ging von der extremen Linken bis zur extremen Rechten, über pro-amerikanische Gruppen, die die ganze Idee der EU nicht mögen, bis zur britischen Boulevard-Presse, die in Irland großen Einfluss hat. Es war ein riesiges Spektrum von Argumenten, manche berechtigt, aber viele unwahr."
Ratlosigkeit über den weiteren Weg
Und wie geht es weiter? Justizminister Dermot Ahern: "Wir müssen nun abwarten, wie sich das irische Nein auf die anderen Länder in der EU auswirkt. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags fortsetzen. Wenn Irland dann am Ende das einzige Land ist, das nicht ratifiziert hat, wirft das natürlich Fragen auf."
Der auf dem Gipfeltreffen in Lissabon im Dezember 2007 unterzeichnete Vertrag zur Reform der Europäischen Union soll Anfang 2009 in Kraft treten. Bis dahin muss er von allen 27 Mitgliedstaaten der EU ratifiziert werden. Je nach nationalem Recht gibt es dafür unterschiedliche Verfahren. Bereits ratifiziert haben den Vertrag: Ungarn, Slowenien, Malta, Rumänien, Frankreich, Bulgarien, Polen, die Slowakei, Portugal, Dänemark, Österreich, Lettland, Litauen, Luxemburg, Finnland, Estland und Griechenland. In Deutschland wurde der Vertrag trotz der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat noch nicht ratifiziert. Das Bundesverfassungsgericht muss nach Klagen entscheiden, ob Bundespräsident Horst Köhler das Zustimmungsgesetz unterzeichnen darf. In den Niederlanden gab es am 5. Juni die Annahme im Unterhaus des Parlaments. Die für den Abschluss der Ratifizierung noch fehlende Zustimmung des Senats gilt als Formsache. In Tschechien hat die zweite Parlamentskammer ihre Abstimmung am 24. April verschoben. Dort soll erst das Verfassungsgericht über die Vereinbarkeit mit tschechischem Recht entscheiden.
Auch in Großbritannien, Schweden, Belgien, Spanien, Italien und Zypern stehen die Zustimmungen noch aus. Nach dem Nein der irischen Volksabstimmung ist aber vieles offen.
In Dublin wird bereits heftig diskutiert, ob es auf europäischer Ebene Nachverhandlungen geben kann, und es in absehbarer Zeit ein zweites irisches Referendum gibt. Dies war bereits nach dem Vertrag von Nizza der Fall, damals sagten die Iren im zweiten Anlauf Ja. Doch die meisten Beobachter meinen: Das wird diesmal ungleich schwieriger. Die zweite Möglichkeit lautet: Die EU schreitet ohne Irland voran. Doch warum die Iren bestrafen, wenn Franzosen und Niederländer für ihr Nein zur EU-Verfassung nicht bestraft wurden? Es gibt kein schlüssiges Konzept bisher, wie es weitergeht in der EU. Die Ratlosigkeit überwiegt.