Beitrittsverhandlungen mit Island Reicht die EU bald bis zur Arktis?

Stand: 27.07.2010 02:34 Uhr

Nur 320.000 Menschen leben in Island - gerade einmal so viele wie in Bielefeld oder Braunschweig. Und nur wenige der Isländer sind begeistert von der Aussicht, bald zur EU zu gehören. Schon 2012 könnte es soweit sein - heute haben die Beitrittsverhandlungen begonnen.

Von Ann-Katrin Johannsmann, ARD-Hörfunkstudio Stockholm

Island ist ein kleines Land. Gerade einmal 320.000 Menschen wohnen hier, ungefähr so viele wie in Bielefeld oder Braunschweig. Weil es hier so wenig Menschen gibt, sind Familiennamen selten. Die Isländer tragen meist den Vornamen ihres Vaters mit der Endung "dottir" für Tochter oder "son" für Sohn.

Nur wenige Isländer sind begeistert von der Aussicht, der EU beizutreten. "Ich bin gegen die EU, sie ist undemokratisch. Der Euro meinetwegen ja, aber nicht die EU. Dann würden wir unsere Haupteinnahmequellen verlieren. Die Fischerei und die Energie. Die Einnahmen würden ins Ausland gehen und nicht in den Aufbau unseres Landes", sagt ein Passant.

Ein Problem: der Fischfang

Größtes Hindernis aus Sicht der Isländer ist der Fischfang. Er macht rund die Hälfte des isländischen Exports aus. Seit dem Zusammenbruch der Finanzindustrie betrachten viele die Fischwirtschaft wieder als eine stabile Einnahmequelle, die sie sich ungern von spanischen oder britischen Fangflotten wegnehmen lassen wollen. Gudmunder Geirdal ist Seemann und Fischhändler. Er blickt mit gemischten Gefühlen Richtung EU. "Ich weiß nicht, was da rauskommen wird", sagt er. "Ich bin da sehr ängstlich, aber ich möchte den Prozess nicht vorverurteilen. Ich glaube nicht, dass die Bürokraten in der EU korrupter sind, als die Bürokraten in Island."

Jungaale

Der Fischfang - ein Hindernis auf dem Weg in die EU?

Adalsteinn Leifsson ist Fischfangexperte an der Universität Helsinki und erklärt die Angst der Isländer vor Überfischung so: "Wir waren 35 Jahre lang die Einzigen, die in unserer 200-Meilen-Zone gefischt haben. 70 Prozent unseres Fangs kommen aus Beständen, die nicht weiterziehen. Deswegen dürfen andere EU-Staaten keinen Anspruch auf unsere Fangquote bekommen, weil sie keine Erfahrung in isländischen Gewässern haben." Es geht nicht nur um Hering und Makrelen, sondern auch um Wal. Wale dürfen innerhalb der europäischen Gewässer weder gefangen noch getötet werden. Island fordert eine Ausnahmeregelung. Selbst auf den isländischen Kronenstücken sind zahlreiche Fischarten abgebildet. Ihre Kronen wollen die Isländer aber gerne gegen den Euro tauschen. Die Kursschwankungen schaden der Wirtschaft.

Zweites Problem: das verlorene Geld ausländischer Sparer

Doch es gibt noch ein zweites Problem zwischen Island und der EU. Die Niederlande und Großbritannien verlangen von Island knapp vier Milliarden Euro für die verlorenen Guthaben ihrer Sparer. Im März haben die Isländer ein Rückzahlungsabkommen bei einer Volksabstimmung gekippt. Jetzt verspricht Islands Finanzminister Steingrimur Sigfusson eine baldige Lösung. "Wir müssen ja irgendwie zurückzahlen, auch wenn wir nein sagen, das ist ja das Problem", sagt er. "Wir müssen es so lösen, dass für uns die wirtschaftlichen und finanziellen Belastungen nicht zu hoch sind." Die Manager der erst 2003 privatisierten Landesbank hatten über ihre Online-Tochter Icesave milliardenschwere Einlagen von ausländischen Sparern eingesammelt. Seit dem Zusammenbruch der überschuldeten Großbanken ist die Wirtschaftsleistung in Island um knapp ein Drittel zurückgegangen. Von der EU erhofft sich Island finanzielle Unterstützung.

Mitgliedschaft schon im Jahr 2012?

Aber das Land hat der EU auch einiges zu bieten. Denn die EU würde sich mit dem Beitritt Islands auf die Arktis ausdehnen, wo Wissenschaftler enorme Rohstoffvorkommen vermuten. Island ist bereits Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes und des Schengen-Abkommens. Experten halten deshalb eine Mitgliedschaft schon ab 2012 für realistisch. Vorausgesetzt die Isländer willigen ein.