Brüssel und die Rückkehr von Johnson "Lachen oder weinen?"
Es hat alle überrascht: "Ober-Brexiteer" Johnson wird Außenminister. Soll man lachen oder weinen? In Brüssel ist man sich nicht sicher. An diplomatische Etikette fühlen sich aber viele nicht gebunden - und sprechen deutliche Worte.
Von Sebastian Schöbel, ARD-Studio Brüssel
Die Sprecherin für Außenpolitik der EU-Kommission hielt sich strikt an die Regeln der Diplomatie: Auf den neuen britischen Außenminister und "Ober-Brexiteer" Boris Johnson angesprochen sagte sie nur: "Wir sind bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten." Deutlicher wurde Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans: In einem persönlichen Facebook-Post äußert er scharfe Kritik am Brexit-Lager. Dieses habe "Hass und Scheinheiligkeit" entfesselt. Worte, die auch an Johnson gerichtet sein dürften.
"Schwer zu Ergebnissen zu kommen"
Ebenfalls nicht an die diplomatische Etikette gebunden fühlten sich die Europaparlamentarier. "Man könnte ironischerweise sagen, dass das der spezielle, britische Humor ist." sagte Jo Leinen, EU-Parlamentarier der SPD - und schloss sich damit tausenden Nutzern bei Facebook, Twitter und Co. an, die ähnlich auf Johnsons Ernennung reagiert hatten. Doch zum Lachen sei ihm nicht zu Mute, so Leinen. "Ich würde sagen, das ist eine echte Provokation für die EU der 27."
Über die Ernennung von Johnson zum Außenminister sind nicht viele Briten
Leinen erinnerte sich ungern an Johnsons Zeit als Brüssel-Korrespondent für britische Zeitungen. Schon damals habe er sich hauptsächlich negativ über die EU geäußert und als Brexit-Befürworter nahtlos daran angeknüpft. "Er ist mit Sicherheit kein Freund dieses Europas. Und das macht es schwieriger, Brücken zu schlagen und beim neuen Verhältnis Großbritanniens mit der EU zu Ergebnissen zu kommen."
Appell an die Verantwortung
"Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll", fügte Rebekka Harms, die Chefin der Grünen im Europaparlament, per Audio-Botschaft von einer Polen-Reise hinzu. "Ich weiß aber, dass es nicht gut ist, wenn Verantwortungslosigkeit in der Politik auch noch belohnt wird."
Auch Elmar Brok, der außenpolitische Sprecher der Volkspartei im Europaparlament, zeigte sich überrascht von der Entscheidung, Johnson zum obersten britischen Diplomaten zu machen. Zumal er mit seiner Brexit-Kampagne oft "weit an der Wahrheit vorbei" geschossen sei, so Brok. "Ich hoffe aber, dass er nun so viel Verantwortungsgefühl aufbringt, dies nicht wieder zu einer neuen Showdarbietung zu nutzen, sondern seriös die Arbeit zu betreiben, im gemeinsamen Interesse."
"Ratschläge in Körperöffnungen"
Die vielleicht versöhnlichsten Worte kamen an diesem Tag jedoch vom scheidenden britischen EU-Kommissar Jonathan Hill. Zum letzten Mal stellte er sich in der Kommission den Fragen der Journalisten. Zum neuen britische Kabinett und vor allem zu Johnson sagte Hill mit trockenem Humor: "All diese Leute werden jetzt Ratschläge in sämtliche Körperöffnungen gestopft bekommen." Hill schloss: "Ich habe nicht vor, dem etwas hinzuzufügen."
Nach seiner eigenen Zukunft gefragt gab Hill, der für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben hatte, offen zu: Er wisse nicht, wie es beruflich für ihn weitergehen wird. "Ich werde erstmal etwas im Garten machen, endlich etwas Ordentliches lesen. Und dann mache ich Urlaub."